Kapitel 4
»Bitte reg dich nicht so auf. Deine Wunden könnten sonst wieder aufgehen.« Meine Wunden. Natürlich, dass erklärte das höllische Brennen meiner Arme. Was für ein merkwürdiger Alpha er doch war. Wäre ich ein Mensch, hätte ich wahrscheinlich nicht einmal erkannt, dass er ein Alpha war. Aber ich war kein Mensch und konnte es nicht verhindern, auf seine Macht zu reagieren. Die Panik war zwar weniger, doch sie schlummerte immer noch tief in mir. Es brauchte mehr als ein paar Worte und eine Umarmung, um die Erinnerungen, die mich an dieses Haus verbanden, verschwinden zu lassen.
Er strich mir ein letztes Mal über den Rücken und ließ mich dann wieder los. Mit unergründlichen Augen sah er mich an und wartete auf das, was ich tun würde. Wieder wanderte mein Blick zur Tür und seine Augen folgten meinen. »Du musst nichts sagen. Komm, ich bringe dich von hier weg.«
Wieder streckte er seine Hand nach mir aus und diesmal zuckte ich nicht zusammen. Er wollte mir helfen. Auch wenn mein Kopf es nicht verstand, wollte mein Körper einfach seine Hand nehmen und verschwinden. Also ergriff ich sie zögernd. Als Belohnung dafür erhielt ich wieder ein warmes Lächeln und meine Hand in seiner begann zu kribbeln.
Wie seltsam. Ich, eine unwürdige Omega, hielt die Hand des mächtigen Alphas, als wäre es selbstverständlich. Er führte mich in Richtung der Tür. Nicht mehr lange und ich wäre wieder draußen. Weg von diesem schrecklichen Ort.
Mein Blick senkte sich auf den Boden, so wie ich es gelernt hatte. Ich hatte kein Recht den Alpha anzusehen, egal wie nett er gewesen war. Er stand über mir und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er meine ständigen Respektlosigkeiten einfach so stehen lassen würde. Mein Vater hätte es nicht getan. Der Eingangsbereich war groß und ich konnte es nicht verhindern, dass die Erinnerung daran, wie einer der Männer meines Vaters mich damals hier hergeschleppt hatte, erneut vor meine Augen trat. Ich spürte den Blick des Alphas überdeutlich auf meinem Gesicht und gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Ich hatte schon genug Schwäche gezeigt.
Doch plötzlich spürte ich warme Finger, die über meine Hand strichen. Oh Göttin, warum tat er das?
Die Tür fest im Blick wollte ich meine Schritte beschleunigen, als mich die tiefe Stimme meines Vaters erstarren ließ.
»Wollt Ihr etwa schon gehen, Alpha?«
Der Angesprochene strich mir beruhigend über den Handrücken und drehte sich dann gelassen zu meinem Vater um.
»Ja, tatsächlich machen wir uns gerade auf den Weg. Aber keine Sorge Richard, wir werden noch die Gelegenheit haben, uns ausführlich zu unterhalten. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Es war merkwürdig zu sehen, wie ein junger Mann, der nur ein paar Jahre älter zu sein schien als ich, so mit meinem Vater sprach. Und der Mann, vor dem ich mein Leben lang Angst hatte, senkte nur ergeben den Kopf und ließ uns gehen. Wir verließen das Haus, aber ich wusste, sobald der Alpha wieder abreiste, wäre ich erledigt. Mein Vater würde so eine Beleidigung, wie gerade eben, mit Sicherheit nicht ungestraft lassen.
Was sollte ich denn jetzt tun?
Wir gingen an den Leibwächtern meines Vaters vorbei und ich zog automatisch meinen Kopf noch weiter ein. Ich war es gewohnt, dass sie mich gerne einschüchterten und so überraschte mich das warnende Knurren nicht, dass einer von ihnen abgab. Doch diesmal stellte es sich als großen Fehler heraus. Bevor ich überhaupt blinzeln konnte, hatte der Alpha ihn schon zu Boden geworfen und drückte ihm seinen Fuß an die Kehle.
»Was war das?«, fragte er mit leiser, kalter Stimme.
Hätte er vorher so mit mir geredet, hätte ich mir wahrscheinlich in die Hose gemacht.
»Verzeiht,«, kam es japsend aus dem Mund des Wächters »ich habe nicht Euch gemeint!«
Doch der Alpha lachte bloß kalt.
»Das hatte ich auch nicht gedacht. Was gibt dir das Recht jemanden anzuknurren der unter meinem Schutz steht?« Meinte er das Ernst? Es schien tatsächlich so zu sein, denn er sah den Mann unter ihm wartend an.
»Und wo bleibt die Entschuldigung?«
Mit ängstlichem Blick sah der arme Wolf jetzt mich an.
»Tut mir leid«, brachte er mit Mühe über die Lippen.
Ohne etwas erwidern zu können, sah ich ihn an. Noch nie hatte sich jemand für irgendetwas bei mir entschuldigt.
Schon gar nicht für so etwas. Der Alpha ließ den Wächter nach einigen Momenten los und streckte mir dann wieder seine Hand entgegen. Das schien er überraschend oft zu tun.
»Lass uns von hier verschwinden.«
Seine Wut schien zwar wieder kontrolliert zu sein, dennoch konnte ich nicht anders als meinen Blick sofort wieder zu Boden zu richtete. Natürlich reichte ich ihm wieder meine Hand, was blieb mir auch anderes übrig? Er war der Alpha und ich eine Omega. Ich würde immer das tun, was andere mir sagten. Es würde niemals anders werden.
