Kapitel 5
Wieder wurde meine Hand gedrückt und ein Daumen streichelte sanft über meinen Handrücken.
»Wo möchtest du hin? Sag es mir und werde dich hinbringen.«
Ich wollte allein sein. Niemanden um mich her-umhaben.
»Danke, aber das ist nicht nötig«, murmelte ich lei-se und realisierte erst dann, was ich gerade getan hatte.
Unsicher sah ich zu ihm hoch, in Erwartung gleich geschlagen zu werden, aber seine bronzefarbenen Augen sahen nur sanft in meine. »Wären es andere Umstände, hätte ich deinen Wunsch respektiert, aber jetzt kann ich dich nicht sicher allein lassen.«
Wartend sah er mich an.
»Es wäre nett, wenn Ihr mich nach Hause bringen könntet«, kam es flüsternd von mir.
»Gut, wir werden uns dort noch unterhalten müssen.«
Obwohl seine Stimme sanft war, klang diese Aus-sage dennoch wie eine Drohung für mich. Das hatte mir gerade noch gefehlt, eine ernste Unterhaltung mit dem Alpha. Ich verkniff mir jede weitere Bemerkung und ließ mich einfach von ihm mitziehen. Eine Wahl hatte ich ohnehin nicht. Die Limousine, zu der er mich nun führte, war nichts anderes als protzig und ich hätte nie gedacht, dass ich jemals in so einem Auto sitzen würde. Der Alpha ließ mich zuerst ein-steigen und sobald er selbst im Auto saß, begann dieses sich bereits zu bewegen. Sollte ich ihm nicht meine Adresse sagen? Vielleicht, aber ich blieb lieber ruhig. Wenn er sie wissen wollen würde, hätte er schon etwas gesagt. Die Stille zwischen uns war mir unangenehm, zumal er seinen Blick ununterbrochen auf mich gerichtet hatte. Die zwanzig Minuten bis zu mir nach Hause würden lustig werden.
»Wieso hast du dich vorhin nicht gewehrt?«
Was war das für eine Frage? Aber ich wusste, ich konnte ihn nicht belügen, er würde es sofort bemerken.
»Was hätte ich schon tun können?«, antwortete ich ihm leise.
»Du hättest etwas sagen können.«
Er klang gereizt, ob auf mich oder die Situation konnte ich nicht sagen. Aber wie stellte er sich das vor? Ich hätte wohl kaum so reagieren können wie er. Zwar war ich auch ein Wolf, aber ich war eine Frau und eine Omega. Meine Position würde immer unter die der Wächter sein. Ich hatte nicht die Lust darauf, wieder im Keller meines Vaters zu landen. Doch nach dem heuten Tag würde das früher oder später so-wieso passieren.
»Was ist los?«
Die Stimme des Alphas riss mich aus meinen Ge-danken, aber ich schüttelte bloß den Kopf.
»Es ist nichts.«
»Lüg mich nicht an. Ich kann deine aufsteigende Panik spüren. Sag mir, was mit dir los ist«, befahl er mir mit dunkler Stimme. Ich hatte gewusst, dass Lü-gen nichts bringen würde. Wenn ich es ihm nicht von allein sagte, würde er mich zwingen.
»Ich habe Angst.«
Dieses Eingeständnis zu machen, kostete mich viel Kraft, aber was sollte ich machen? Weiter lügen?
»Etwa vor mir? Das brauchst du nicht, du hast vor mir nichts zu befürchten. Ich werde dir nichts tun.«
Bestimmt schüttelte ich den Kopf.
»Nein, nicht vor Euch.« Was mich selbst überraschte, denn es war mehr oder weniger die Wahrheit.
»Mein Vater wird das heute nicht auf sich sitzen lassen.«
Jetzt hatte ich endgültig die Aufmerksamkeit des Alphas.
»Wie meinst du das?«
Mein Blick wanderte auf meine Hände.
»Wir haben ihn tief beleidigt, weil wir einfach so gegangen sind. Irgendwie wird er seiner Wut freien Lauf lassen müssen.«
Die Stille, die auf meinen Satz folgte, war erschreckend.
»Du meinst, ich habe ihn beleidigt und du wirst die Wut abbekommen«, stellte er kühl fest.
»Es ist schließlich immer so«, rutschte es mir her-aus, bevor ich es verhindern konnte.
Meine Augen weiteten sich schockiert. Wieso konnte ich nicht die Klappe halten? Hatten die Jahre hier mir nichts beigebracht? Er würde mit meinem Vater sprechen und dann würde ich nicht einmal den nächsten Tag überleben. Ich schloss die Augen und wartete auf das, was jetzt passieren würde. Aber nichts geschah. Langsam öffnete ich meine Lider wieder und sah zu dem Mann, der neben mir saß. Der Alpha saß ruhig da, den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Nachdem er endlich etwas sagte, klang seine Stimme gefährlich kontrolliert.
»Stimmt das? Ja, natürlich stimmt es. Ich würde es merken, wenn du mich belügen würdest«, beantwortete er seine eigene Frage.
»Wieso hat mir das keiner gesagt?«, herrschte er mich wütend an und setzte sich auf. »Es ist meine Aufgabe mich um solche Dinge zu kümmern. Du hättest dich bei mir melden müssen.« Als er mich so ansah wich ich erschrocken zurück und sein Blick wurde wieder erstaunlich sanft.
»Hab keine Angst, ich werde nicht zulassen, dass jemand dir je wieder etwas antut. Du hast mein Wort.«
Ungläubig sah ich ihn an. Meinte er das Ernst? In Ordnung, er hatte gesagt ich stünde unter seinem Schutz, aber so? Nein, ich musste es falsch verstanden haben.
»Wie meint Ihr das?«
Wieder nahm er meine Hand und sah mich mit so einer Sicherheit in den Augen an, dass ich eine Gänsehaut bekam.
»Genauso wie ich es gesagt habe. Ich lasse dich auf keinen Fall an einem Ort wie diesen.«
Das Gefühl von Unwohlsein machte sich in mir breit. Natürlich wollte ich von hier verschwinden, aber nicht von einem Gefängnis ins andere.
»Ich muss wissen was hier vor sich geht, erst dann kann ich diese Stadt guten Gewissens wieder verlas-sen.«
Die Limousine hielt vor dem Wohnkomplex, in dem meine Wohnung war und meine Tür wurde geöffnet. Ein etwas älterer Mann mit kurzen schwarzen Haaren und einem Schnurrbart lächelte mich warm an und bedeutete mir auszusteigen. Waren wir tat-sächlich bereits angekommen? Der Alpha folgte mir nach draußen und sah das Gebäude vor uns prüfend an.
»Hier wohnst du also.«, stellte er fest.
Ohne ein Wort zu sagen, nickte ich einfach und ging voraus in mein Zuhause. Es war zwar nicht sehr schön, aber es war meins. Ein wenig schämte ich mich, dass der Alpha meine Wohnung sehen würde, aber er hatte selbst kommen wollen. Dort angekommen sah er sich erst einmal um. Mit Sicherheit war er besseres gewöhnt, aber ich konnte mir nichts anderes leisten. Wenigstens hier war ich immer sicher gewesen. »Ich kann Euch leider nichts anbieten. Ich bin noch nicht zum Einkaufen gekommen bin.« Keine Lüge, auch wenn der Grund dafür weniger die Zeit, sondern das Geld gewesen war.
»Ich brauche nichts. Lass uns reden.«
Er ging mit sicheren Schritten in mein winziges Wohnzimmer und setzte sich auf meine Couch. Etwas unschlüssig blieb ich vor ihm stehen. Sollte ich mich zu ihm setzten? Stehen bleiben? Mich auf den Boden setzten? Zum Glück nahm er mir diese Entscheidung ab.
»Setzt dich bitte zu mir. Ich möchte mich in Ruhe mit dir unterhalten können. Erzähl mir bitte alles, wozu du bereit bist.« Mit wackligen Beinen setzte ich mich neben ihn. Warum war ich denn jetzt so nervös? Im Auto war es doch auf möglich gewesen neben ihm zu sein, ohne gleich zu zittern wie ein Rehkitz. Wartend sah er mich an und schließlich begann ich stockend zu erzählen.
»Wie Ihr sicher bemerkt habt, bin ich eine Omega. Es ist also nicht so, dass mich das Rudel anders be-handelt hätte, als meine Position es verlangt.« Mein Gefühl sagte mir, ich sollte wütend darüber sein, aber mein Kopf wusste, dass das Leben ebenso war. Meine Geburt hatte mein Schicksal besiegelt.
»Du denkst also wirklich, sie hätten das Recht dich so zu behandeln?«, fragte er mich sanft und sein Blick wanderte prüfend über mein Gesicht. Da ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte, zuckte ich bloß mit den Schultern.
»Sieh mich an, Elisabeth.«
