Kapitel 6 Keine Eile, du wirst schon bald wissen, wer ich bin
Ina wurde von einem plötzlichen Impuls erfasst, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie errötete, beißend auf ihre Unterlippe, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
"So… genug?"
Nachdem sie kurz geküsst hatte, wollte sie sich abwenden.
Armins Pupillen weiteten sich langsam, in seinen Augen schmolz ein Teil der eisigen Härte dahin.
Er streckte die Hand aus, zog sie ruckartig in seine Arme, hielt ihren Hinterkopf fest und beugte sich vor, der warme Atem, der sie umwehte, war verführerisch und elektrisierend.
"Nur ein Kuss? Wie soll das reichen?"
Er senkte den Kopf noch tiefer, seine Lippen fast berührten die ihrigen, die rosa und glänzend schimmerten, Atemzüge verflochten sich.
Sein Blick brannte heiß, wie ein Raubtier, das seine Beute schon lange begehrte.
Ina hielt den Atem an.
Ihre Wangen glühten, das Herz klopfte bis zum Hals, fast so, als würde sie ersticken, bis Armin sie endlich wieder losließ.
Sie blickte ihn mit nebligen Augen an, wie ein kleines, verängstigtes Kätzchen, und flüsterte:
"Dann… hast du ja zugestimmt?"
Armins Blick war nun kontrolliert, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
"Die Wünsche meiner Frau… die werde ich natürlich vollständig erfüllen."
Er betonte die Worte "vollständig erfüllen" deutlich.
Ina senkte den Blick und floh eilig aus dem Raum.
Gerade eben hatte sie eine seltsame Hitze in ihrem Körper gespürt, eine Reaktion, die sie selbst noch nicht einordnen konnte…
Armin beobachtete ihr fliehendes, leicht panisches Erscheinungsbild und konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.
Die sonst so widerspenstige kleine Katze war innerlich ein weiches, leicht zu beschützendes Lamm.
Die äußere Fassade, nur ihr Schutzschild.
Nur er wusste, wie rein und liebenswert sie wirklich war.
…
Zwei Tage später brachte Ina Armin zurück zur Familie Stentz.
"Großvater."
Ina trug ein helles Kleid, stand mit zusammengefügten Beinen brav vor Richard und stellte ihn vor:
"Das hier ist Armin, von dem ich dir erzählt habe."
Richard betrachtete Armin neben ihr und lächelte zufrieden, nickte anerkennend.
"Gut, sehr gut."
Armin wirkte elegant, ruhig und höflich:
"Großvater, dies ist ein kleines Geschenk zur Begrüßung."
Niko brachte die Geschenke einzeln herein, legte sie auf den langen Tisch und ging dann wieder hinaus.
Bald türmten sich auf dem Tisch teure Nahrungsergänzungen und edle Weine, offenbar hatte er sich beim Aussuchen der Geschenke viel Mühe gegeben.
"Du bist nun mit Ina verheiratet, wir sind eine Familie. Da braucht es keine Förmlichkeiten." Richard lächelte, die Augen zu schmalen Schlitzen geformt, und war von Armin sichtlich angetan.
"Es gehört sich so, die Etikette darf nicht fehlen." Armin sprach ruhig und kultiviert.
Richard erkannte sofort: Diesmal hatte Ina die richtige Wahl getroffen.
Damals, als Inas Vater krank war, hatte er sich Sorgen gemacht, dass Ina später niemanden hätte, der sie umsorgte, und übergab sie seinem langjährigen Freund und Geschäftspartner Josef zur Fürsorge, mit der Absicht, eine Heirat zu arrangieren.
Damals war Ina achtzehn und gerade mit Otto zusammengekommen.
Inas Vater hatte kurz vor seinem Tod gewollt, dass sie glücklich mit Otto zusammenbleiben würden.
Otto hatte versprochen, Ina ein Leben lang zu lieben.
Doch die Eheschließung hatte sich geändert, statt des Bruders wurde nun Armin ihr Ehepartner.
Richard wies an:
"Ina, geh zur Familiengruft und bring Räucherwerk für deine Großmutter und deine Eltern dar. Großvater wird sich mit Armin unterhalten."
Ina war noch unsicher und warf einen Blick zu Armin, zögerte, sich sofort zu bewegen.
Der Großvater war bekannt dafür, andere gern herauszufordern.
Otto hatte dies oft zu spüren bekommen; er fürchtete seinen Großvater und war ihm gegenüber eher widerwillig.
In den letzten Tagen jedoch, in denen Ina und Armin Zeit miteinander verbracht hatten, bemerkte sie, dass er trotz gelegentlicher spitzer Bemerkungen ein aufmerksamer Mensch war, ein durchaus geeigneter Ehemann.
Da ihre Ehe ohnehin eine Blitzhochzeit war, wollte Ina ihn nicht unnötig belasten.
Richard bemerkte die Situation und neckte sie leicht:
"Du kleine Göre, hast du etwa Angst, dass ich deinen Mann ein bisschen ärgere?"
Ina errötete sofort.
Armin lächelte leise und neigte den Kopf zu ihr:
"Keine Sorge, ich unterhalte mich nur kurz mit Großvater. Geh ruhig."
Ina nickte und machte sich auf den Weg zum Familienfriedhof.
Der private Friedhof der Familie Stentz lag auf einem kleinen Hügel hinter dem Anwesen, umgeben von sorgfältig geschnittenen Zypressen, die dem Ort Würde und Ruhe verliehen.
Ina ging zum Grab ihrer Eltern, einer kunstvollen Marmorplatte, auf der Fotos ihrer Eltern in jungen Jahren eingraviert waren. Vorsichtig legte sie einen Strauß weißer Rosen vor das Grab.
Mit einem sauberen Tuch wischte sie das Bild ihrer Mutter ab.
Von klein auf war sie in der Familie geliebt worden.
Ihre Mutter hatte ihr stets sanft über den Kopf gestrichen und liebevoll gesagt:
"Ina ist unser ganzer Stolz, du sollst glücklich und unbeschwert leben… Sie verdient alles Schöne auf dieser Welt, ist unser Herzblatt."
Ja… sie war das kostbare Juwel der Familie.
Doch in Gegenwart von Otto war sie demütig wie ein kleines, winselndes Hündchen, das jeden Blick prüfte und jede Bewegung fürchtete, aus Angst, verlassen zu werden.
All ihren Stolz und ihre Würde hatte sie aufgegeben, nur um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Wann war das junge, von ihren Eltern geliebte Mädchen nur zu so jemandem geworden?
Ina fühlte sich schuldig.
Hätten ihre Eltern gesehen, wie sie in den letzten Jahren gelitten hatte, sie wären bestimmt zutiefst traurig gewesen.
Bei diesen Gedanken liefen ihr Tränen über die Wangen, die leise auf das Grab fielen.
"Mama… ich bin so nutzlos…"
Die fünf Jahre voller Enttäuschung, Schmerz, Ungerechtigkeit und Verzweiflung brachen in diesem Moment über sie herein. Sie weinte herzzerreißend, als wollte sie all ihren Schmerz herauslassen.
Armin, der durch die Dienerschaft von ihrem Aufenthaltsort erfahren hatte, war ihr gefolgt und kam gerade rechtzeitig, um diese Szene zu sehen.
Als er sie so weinen sah, zog es ihm das Herz zusammen.
Er eilte zu ihr, hob sie vorsichtig hoch und hielt sie angespannt in seinen Armen.
"Schatz, hör auf zu weinen, sei nicht traurig."
Er glaubte, dass sie nur zu sehr ihre Familie vermisste, und tröstete sie liebevoll:
"Ich werde in Zukunft gut auf dich aufpassen, für sie sorgen, dich richtig verwöhnen, okay?"
Ina weinte noch heftiger.
Armin hielt sie fest, sein Herz fühlte sich an wie ein fehlendes Stück, bis sie erschöpft in seinen Armen zusammenbrach.
Dann hob er sie vorsichtig auf und verließ mit ihr den Friedhof.
Um den Großvater nicht zu beunruhigen, wies er die Diener an, von dem Vorfall nichts zu erzählen.
Im Auto beruhigte sich Ina allmählich.
Nase und Augen noch rot vom Weinen, ihre Stimme leicht heiser, sagte sie:
"Armin… danke."
Armin saß zu ihrer Linken, blickte sie sanft an:
"Wenn du mir wirklich danken willst, dann freu dich."
"Freude ist das Wichtigste."
Diese Worte trafen Ina mitten ins Herz.
Früher hatte Otto gesagt: "Ina, niemand kann dich ewig verwöhnen. Du musst lernen, nachzugeben, zu vergeben, sonst endet es irgendwann."
Ina nickte, erleichtert.
Plötzlich erkannte sie, dass der Armin, vor dem sie früher Respekt gehabt hatte, unendlich viel besser war als Otto.
Zurück in der Villa nahm Ina zuerst eine Dusche.
Während Armin im Badezimmer duschte, klingelte Inas Handy. Ein unbekannter Anruf ging ein, und ohne lange nachzudenken wischte sie, um abzunehmen.
"Ina, wann hörst du endlich mit deinem Theater auf?", die Stimme am anderen Ende war Otto, gedrückt vor Zorn.
Sofort zog Ina die Stirn kraus; ihre gerade noch gute Laune verflog wie Rauch.
"Vergiss nicht, wir haben uns doch getrennt."
"Getrennt?" Otto lachte kalt auf. "Ina, bist du fertig mit dem Spielen? Handy blocken, WeChat blocken, nicht nach Hause kommen, wie lange willst du diese kindischen Spielchen noch durchziehen?"
Sein Ton war voller Verachtung.
"Ich spiele hier nichts vor." Inas Stimme wurde eisig. "Wir sind getrennt. Belästige mich bitte nicht weiter."
Nach ein paar Tagen Funkstille, als sie erneut diese Stimme hörte, bemerkte sie, dass sie keinerlei Bedauern mehr empfand. Alles, was blieb, war tiefe Abneigung und Ekel.
Otto war einen Moment lang überrascht. Offensichtlich hatte er nicht erwartet, dass sie so endgültig reagieren würde. Früher dauerten ihre kalten Kriege nie länger als ein paar Stunden, sie hatte immer den ersten Schritt gemacht, um sich zu versöhnen, und ihn behutsam zu beruhigen.
Doch diesmal ließ Ina ihm keine Chance. Otto spürte ein leichtes Unbehagen und milderte seinen Tonfall:
"Okay, ich gebe zu, dass es übertrieben war, dass ich nicht zum Standesamt gegangen bin.
Ich entschuldige mich, bitte hör auf damit, einverstanden?"
Ina lachte spöttisch.
"Hast du Menschenverstand verloren? Wir sind getrennt. Ruf mich nicht nochmal an."
"Ina, übertreib es nicht!" Otto brüllte.
Ina rollte mit den Augen, wollte gerade auflegen, da öffnete sich plötzlich die Badezimmertür.
Sie sah auf, Armin kam heraus, nur in ein Handtuch gewickelt. Sein perfekt definierter Bauch, die scharfen Linien der Muskeln, ließen sie den Telefonhörer fast vergessen.
"Wer war das am Telefon?" Armin trat näher, die Augenbraue hochgezogen, ein Blick auf das Handy war genug, um zu wissen, worum es ging.
Inas Blick blieb an seiner definierten Brust haften; sie war völlig abgelenkt.
Am anderen Ende des Telefons hörte Otto die männliche Stimme und explodierte:
"Ina! Du bist da mit einem Mann? Wer ist er?!"
Armin nahm das Handy aus Inas Hand, ein kühler, düsterer Glanz blitzte in seinen Augen auf:
"Keine Eile. Bald wirst du erfahren, wer ich bin."
