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Kapitel 6

Ich kam gegen 22 Uhr nach Hause. Ivy schlief schon. Meine Mutter döste erschöpft auf dem Sofa im Wohnzimmer. Ihr Handy glitt ihr aus der Hand und klapperte auf den Boden. Erschrocken wachte sie auf und sah, wie ich meinen Mantel über das Sofa warf. Sie blickte sich um und murmelte: "Norbert ist schon wieder nicht da? Es ist so spät – ist es ihm egal, dass du allein bist? Wer weiß, wie viel Geld er verdient, wenn er nie nach Hause kommt. Elena, ich sag’s dir, du musst aufpassen. Heutzutage haben alle Mädchen ein Auge auf erfolgreiche Männer in ihren Dreißigern wie Norbert geworfen. Lass dir nicht unbemerkt jemanden einfangen. Du musst an deiner Ehe arbeiten!"

Meine Mutter hasste Affären wie die Pest. Mein Vater hatte sie betrogen. Sie ließen sich scheiden, als ich sechs war. Ich erinnere mich noch, wie sie sich an sein Bein klammerte, schrie und ihn anflehte, nicht zu gehen. Er ging einfach weg, ohne sich umzudrehen. Seitdem erzählt sie jedem, mein Vater sei tot – sogar Norbert glaubte es. Ich wusste nicht, wie ich ihr von der Scheidung erzählen sollte. Allein ihr Anblick brach mir das Herz.

Sie bemerkte meine roten Augen und fragte eindringlich: "Was ist los, Liebes? Was ist passiert?"

Ich biss mir auf die Lippe und presste die Worte hervor: "Mama … Norbert und ich lassen uns scheiden. Er hat mich betrogen."

Sie erstarrte für ein paar Sekunden. Dann schlug sie mir frustriert und enttäuscht auf die Schulter. "Was hab ich dir gesagt! Ich wusste, dass was nicht stimmte, weil er ständig weg war! Ich hab dich gewarnt, aber du hast darauf bestanden, dass er nicht so ist. Und jetzt sieh mal! Du bist dreißig und hast ein Kind – wer will dich denn nach einer Scheidung noch? Du wirst leiden!"

Sie lief vor dem Couchtisch auf und ab und schimpfte über zehn Minuten lang. Schließlich warnte sie mich: "Elena, du lässt dich nicht scheiden! Hör mir zu! Ich kümmere mich darum."

Meine Mutter war außer sich vor Wut. Sie stürmte hinaus und knallte die Tür zu. Ich konnte sie nicht aufhalten. Ivy wachte weinend und verängstigt auf. Ich musste sie trösten.

Norbert hatte nie damit gerechnet, dass Elenas Mutter in seinem Büro auftauchen würde. Die sonst so temperamentvolle Frau stand schüchtern vor ihm, ihre Augen flehten ihn auf eine Weise an, die er noch nie an ihr gesehen hatte. "Norbert, du weißt doch, dass Elena ein schweres Leben hatte! Ihr Vater ist jung gestorben. Ich habe sie allein großgezogen, und sie hat so viel mit mir gelitten. Dann hat sie dich geheiratet, und ich dachte, sie würde endlich ein gutes Leben haben. Aber jetzt … wie kannst du dich scheiden lassen?"

Norbert saß hinter seinem Schreibtisch und runzelte leicht die Stirn. "Mutter, ich weiß, dass dir Elena am Herzen liegt. Aber man kann Gefühle nicht erzwingen. Zwischen uns ist keine Liebe mehr."

Als sie das hörte, wurde ihre Stimme scharf. "Keine Liebe? Als du nichts hattest, warum hast du nicht gesagt, dass es keine Liebe gibt? Damals bist du vor mir auf die Knie gefallen und hast geschworen, für immer gut zu Elena zu sein! Und jetzt, wo du Erfolg hast, ist plötzlich keine Liebe mehr da?"

Schuldgefühle spiegelten sich in Norberts Augen. Er seufzte und senkte den Ton. "Mutter, ich habe Elena Unrecht getan, und ich habe dir Unrecht getan. Aber ich verspreche dir, ich werde es ihr wiedergutmachen."

"Entschädigung?", spottete meine Mutter, Tränen rannen ihr über die Wangen. "Will Elena etwa dein Geld? Weißt du überhaupt, was sie alles für dich geopfert hat? Als du dein Unternehmen gegründet hast, hat sie jede Nacht deine Unterlagen sortiert, ist zu deinen Meetings gegangen, hat getrunken, bis ihr der Magen blutete, und sich nie beschwert! Und jetzt, wo du es geschafft hast, willst du sie einfach fallen lassen? Norbert, bist du überhaupt ein Mensch?"

Norbert ballte die Fäuste, seine Stimme war heiser. "Mutter, ich weiß, Elena hat viel für mich gegeben. Ich bin dankbar. Aber zwischen uns … ist es vorbei."

Plötzlich sank meine Mutter mit einem dumpfen Schlag au f die Knie. Norbert eilte herbei, um sie hochzuziehen, seine Stimme klang panisch. "Mama, tu das nicht! Steh auf!"

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