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Kapitel 3

"Ja, Akemi?" Ich werfe noch einen raschen Blick auf meine Notizen und schaue dann auf.

"Das mit einem s." Der Direktor sieh lt an die Tafel und trägt meine Antwort ein. Dann schaut er mich lächelnd an.

"Richtig. Mal wieder", lobt er mich und seine saftgrünen Augen funkeln.

"Streberin", hüstelt Chester in der zweiten Reihe und einige kichern leise. Mein Kopf wird hochrot, peinlich berührt stiere ich wieder auf meine Aufzeichnungen, um den Satz abzuschreiben den ich vollendet habe. Dylan verdreht seine Augen in Chesters Richtung und räuspert sich laut.

"Sagt der, der seine Popel isst", meint er mit einem Fake Husten und grinst hämisch. Chesters Augen werden groß und schnell schaute er mit leicht roten Wangen nach vorne. Bethany glotzt ihren Kumpel ungläubig an und gibt einen angewiderten Laut von sich, bevor sie miteinander flüstern.

"Danke", wispere ich. Dylan zuckt mit den Schultern und lässt den Stift gelangweilt kreisen.

"Besser, als dem zuzuhören", meint er nur. Ich runzele meine Stirn.

"Hey, du kannst nicht in jedem Fach gerade so auf einer vier stehen", tadele ich ihn. Dylan streicht sich über seine nach hinten gekämmten Haare, die in dem typischen Mini Dutt enden.

"Äh, doch - Siehst du doch", erwidert er lässig und grinst ohne schlechtes Gewissen.

"Willst du etwa sitzen bleiben?", frage ich direkt und hebe meine Augenbrauen an. Jetzt verzieht Dylan seine Lippen zu einer Grimasse.

"Natürlich nicht. Mit Sport komme ich schon durch", gibt er überzeugt von sich. Ich schüttele resigniert den Kopf.

"Wir werden sehen. Ich glaube aber nicht, dass nur Sport dich retten wird."

"Naja, Wölfisch und Verwandlung kann ich auch ganz gut", fügt Dylan selbstgefällig hinzu. Ich schnaube in mich hinein.

"Toll", brumme ich. Ich hatte in diesen Fächern immer noch wahnsinnige Probleme.

"Zuhören, Mr. Morgan", schneidet Direktor Collins Stimme milde durch die Unterhaltung. Dylan blickt träge auf, sein Mundwinkel zuckt.

"Aye, Aye, Alpha", salutiert er. Collins verdreht seine Augen und wendet sich wieder an die Klasse. Jeder kennt Dylan als Faulenzer, der Direktor hat sich mit seinen Witzen abgefunden. Er ist glücklicherweise ein gutmütiger Alpha.

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Ich tauche zwischen den kühlen Blättern des Waldes ein und entspanne mich, während ich meinen Pfad entlangjogge, wie in jeder Mittagspause. Jeder Schritt fühlt sich befreiender an als der vorherige und ich summe eine Melodie, die mir im Kopf herumgeistert. Ein Rotkehlchen schießt zwischen einer Baumkrone hervor und stößt einen melodischen Schrei aus. Die Hitze des Sommers liegt schwül in der Luft und macht mir das Atmen schwer, während sich gleichzeitig die Kühle der Schatten an meine warme, schweißbedeckte Haut schmiegt. Die Blätter rascheln in einer sanften Brise und ich biege auf einen schmalen Erdpfad ab, der bis zur Grenze der Sechstklässler führt. Die Markierungen blitzen blau auf und leicht außer Atem zockele ich an der Grenze entlang. Nach diesem Schuljahr würden wir uns bereits bis zu den Mauern frei bewegen dürfen. Über 10 Kilometer. Ich bin so in Gedanken versunken, dass mich das bekannte Gefühl überrascht. Ein heißes Prickeln in meinem Nacken, das meine Härrchen zu Berge stehen lässt und zu einem alarmierenden Stechen wird. Ich stolpere und blicke mich nervös um. Mein Atem beschleunigt sich und es ist, als würde sich etwas klumpiges, schleimiges in meinen Magen legen. Kälte kriecht über meinen Rücken und verursacht eine Gänsehaut, als es rechts von mir leise raschelt. Erinnerungsfetzen an ätzende Schmerzen, die von Silberketten kommen, an schwarze Umhängegestalten in einer kalten Vollmondnacht schießen durch meinen Kopf und ich spüre die aufkeimende Panikattacke. Nein. Nein. Nicht jetzt, denke ich hektisch. Ich hatte es doch endlich hinter mir! Keine Panikattacken mehr seit drei Monaten. Es soll mir doch wieder gut gehen! Wieder raschelt es und leise Schritte erklingen. Vorsichtige Schritte, von jemanden der sich anschleicht. Ich weiche zurück und verstecke mich mit weichen Knien hinter einer alten Eiche, deren Krone sich zu drei dicken Ästen spaltet.

"Hallo?!", rufe ich trotzdem fordernd. Meine Stimme zittert merklich. Keine Antwort. Die Schritte verstummen, Anspannung lässt meine Muskeln hart wie Stein werden und ich schlucke. Sie sind weg, geflohen. Sie würden nicht hierherkommen, erst Recht nicht bei Tageslicht, spreche ich mir Mut zu und komme nach einem Moment wieder mit geballten Händen hervor. "Komm sofort raus!", befehle ich, diesmal mit fester Stimme. Mein Herz klopft trotzdem laut in meiner Brust und Blut rauscht in meinen Ohren, als sich eine Hand auf meine Schulter legt. Ich schreie auf, wirbele herum und schlage mit der Faust zu. Nur, um um ein Haar einen Erstklässler zu erwischen, der mich erschrocken anstarrt und nur knapp meiner Faust ausweichen kann. Tränen des Schams, aber auch der Erleichterung brennen in meinen bernsteinfarbenen Augen und keuchend weiche ich einen Schritt zurück.

"Scheiße, was machst du hier? Die Grenze der Erstklässler ist bereits vor zwei Kilometern, du dürftest hier gar nicht sein", blaffe ich den kupferhaarigen Jungen an. Dessen braunen Augen werden kugelrund, während seine Ohren rot anlaufen.

"Ich weiß, aber... ich habe mich verlaufen", gesteht der Junge peinlich berührt. Kurze Zeit gaffe ich ihn einfach nur an, bis ich mich fange und meine zitternde Hand hinter dem Rücken verstecke.

"Oh... na schön, ich bringe dich zurück", seufze ich letztendlich und drehe mich auf dem Absatz um. Ich schlage den Weg quer durch den Wald ein. Der Neuling stolpert mir hastig hinterher um aufzuschließen.

"Danke, es ist mir echt peinlich", murmelt er beschämt. "Aber schon meine Mutter hat gesagt, dass mein Orientierungssinn grässlich ist", erzählte er geknickt. Ich werfe ihm einen kurzen Seitenblick zu und bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so angefahren habe. Innerlich seufzend lasse ich mich auf das Gespräch ein.

"Naja, die Wälder hier sind groß und sehen ziemlich gleich aus. Als ich vor einem Jahr hergekommen bin habe ich auch eine Woche gebraucht, um mich zurechtzufinden", versuche ich den niedergeschlagenen Jungen zu trösten. Der schüttelt seinen Kopf, während der Wind seine kurzgeschnittenen Haare leicht zerzaust.

"Hm, aber du hast dich mit Sicherheit nicht verlaufen", murmelt er. Ich muss an meine ersten Wochen denken und verziehe mein Gesicht.

"Nein, aber sie waren schlimmer, als sich zu verlaufen", entgegne ich lediglich. Der dunkle Blick des Jungen begegnet mir beim Gehen neugierig.

"Schlimmer? Wie denn?" Ich zucke mit den Schultern und drücke einen tief hängenden Ast zur Seite, dessen weichen Blätter mir im Gesicht kitzeln.

"Unwichtig. Du wirst dich schon bald zurechtfinden, glaub mir." Damit schweige ich wieder und der Junge tut es mir gleich. Kurz bevor wir die Grenze der Erstklässler erreichen, fängt er nochmals an zu reden.

"Ich bin übrigens Alexander. Du bist... Akemi, oder?", fragt er vorsichtig. Ich erstarre in der Bewegung und werfe ihm einen scharfen Blick zu.

"Woher weißt du das?", zische ich und klinge eisig, während sich etwas dunkles in mir regt. Aufmerksam seinen Kopf hebt. Es überrascht mich selbst. Alexander zuckt bei meinem Ton eingeschüchtert zusammen.

"Ich - Es wird eine Menge geredet und - du und... äh, Alice und Dylan sind... hm, die Helden für unseren Jahrgang. Ich meine, ich - Ihr habt die Entführer geschnappt und überlebt." Sein Gesicht nimmt einen ehrfürchtigen Ausdruck an, der mir Übelkeit bereitet. "Ihr seid einfach großartig und so ein Abenteuer will ich auch mal erleben." Daraufhin packe ich den ein Jahr jüngeren Schüler krampfhaft am Arm und funkele ihn wütend an.

"Sag so was nicht! Das war kein Abenteuer und auch kein Spaß, den wir uns gewünscht haben. Es war Realität und grausam. So etwas Schlimmes ist mir noch nie passiert und das sollte sich keiner wünschen, hast du mich verstanden?! Denk erst gar nicht an so einen Blödsinn!", fahre ich Alexander an. Der weicht vor meinem Zorn zurück und windet sich erschrocken aus meinem Griff.

"Ich - Es tut mir leid, so meinte ich das gar nicht, ich habe nicht...", stottert er, aber ich unterbreche ihn.

"Lass es einfach sein." Ich stürme wieder los und der Junge folgt mir, diesmal mit Abstand. Kurz darauf entdecke ich das erste rote Band an einer Birke und drehe mich ein letztes Mal zu Alexander um.

"Ab hier musst du nur noch dem Steinpfad folgen, dann kommst du zum Fußballplatz. Pass in Zukunft besser auf." Ohne ein weiteres Wort laufe ich zurück in den Wald und lasse den verdatterten Schüler hinter mir. Das man mich als Vorbild sehen und sich dasselbe wünschen könnte wie das, was mir passiert ist, hatte ich nie auch nur in Erwägung gezogen. Die Bewunderung für unsere Taten in seiner Stimme zu hören, hat mich bestürzt. Ich kann nur hoffen, dass die neuen Ersties auf keine dummen Ideen kamen. Immer noch mit dieser dunklen Vorahnung, die sich seit dem Ferien nicht mehr gänzlich abschieben lässt, setze ich meine Joggingrunde fort und versuche nicht, mir Sorgen über Dinge zu machen, die nicht in meiner Macht liegen und ignoriere die Finsternis, die sich nur langsam wieder zur Ruhe legt. Jederzeit bereit, wieder aufzuspringen.

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