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Kapitel 2

Letztendlich setzt Alice sich durch und mir bleibt die anscheinend sehr interessante Geschichte leider verschlossen. Deshalb schmollend, hocke ich auf meinem Stuhl und beiße in mein Wurstbrot.

"Ihr seid unfair. Beide", beschwere ich mich.

"Meine Schuld ist es nicht", verteidigt Dylan sich resolut und wirft Alice einen bedeutungschweren Blick zu. Die zuckt nur grinsend mit den Schultern und stopft sich ein Stück rote Wurst in den Mund. Fett glänzt an ihren Fingern und das Sonnenlicht wirft seine farbenfrohe Strahlen durch die Buntglasfenster.

"Irgendwann vielleicht mal", murmelt sie nur.

"Bis dahin bin ich vor Neugier gestorben", grummele ich, bin aber nicht wirklich böse. Nachtragend zu sein liegt scheinbar einfach nicht in meiner Natur. Mein Blick schweift ungewollt zu einem anderen Tisch, wo mir in selben Moment ein blonder Junge einen Blick zuwirft. Barron ignoriert mich geflissentlich und suhlt sich wahrscheinlich immer noch in seinem Selbstmitleid und den Lügen, Alice hätte beim Kampf geschummelt, denke ich verächtlich und konzentriere mich lieber wieder auf meine Freunde. Seine Clique kann mir egal sein. Wir essen die Teller leer und räumen dann alles weg. In der Nähe sitzt eine Gruppe neuer Erstklässler, die sich aufgeregt unterhalten. Ein Mädchen mit kurzem, braunen Haarschopf piesackt einen etwas plumpen Jungen, was mir einen heftigen Stich versetzt. Es erinnert mich an mich selbst vor einem Jahr. Ein Jahr. Und so viel ist seitdem passiert. Ich wende mich von den Fünftklässlern ab und folge Alice. Dylan hat sich bereits zurückgezogen, da er noch eine Runde laufen gehen will. Alice und meine Schritte hallen auf dem knarzenden Parkettboden wider, während wir den Hauptkorridor entlang in das rechte Nebengebäude eilen. Diesmal befindet sich unser Schlafkorridor nicht ganz hinten, sondern dreißig Meter weiter vorne. Die Abzweigung ist eigentlich identisch wie die der Erstklässler, nur das der Gang weitergeht anstatt geradeaus in einer Wand aufzuhören. Und im Gegensatz zu letztem Jahr leuchtet uns in unserem neuen Flur eine himmelblaue Tapete anstelle einer gelben entgegen, die mit Landschaftsbildern des Meeres versehen sind. Unser Zimmer ist 6b, genau dieses schließt Alice gerade auf und mit einem zufriedenen Seufzen verschwinden wir in unser gemeinsames Zimmer. Es hat eine Menge Überzeugung bei Direktor Collins benötigt, damit Alice und ich ein Zimmer haben können. Denn sie ist offiziell in einem anderen Rudel als ich. Jeder Jahrgang hat insgesamt drei große Rudelklassen. Die Princeps, meist zukünftige Alpha und Betas, die Callidus, die Klugen unter den Wölfen und die Cursor, die Läufer und Kämpfer, die sich meist für den Schutz eines Rudels einsetzen und später im Sicherheitsbereich tätig sind. Aber innerhalb des Jahrgangs bilden sich meist kleine, durchgemischte Rudel. Eher Packs. So wie Alices und Barrons. Aber neben uns gibt es noch zwei weitere Gruppen, die sich gebildet haben. Deren "Alphas" sind soweit ich weiß Liam und Jay, ein hellhäutiger Junge von den Callidus. Ich gehöre den Cursor an, die Gruppe, die eigentlich immer am größten vertreten ist und Alice gehört zu den Callidus. Zum Glück nicht zu den Princeps, denn da gehört leider Barron hin. Wahrscheinlich, weil sein Vater der Alpha des Süd-Dakota Rudels ist und er sein Erbe. Dabei hat er definitiv nicht das Zeug zu einem gerechten Alpha. Zumindest bin ich der Meinung, aber nicht als Einzige.

"Hast du schon mit den Hausaufgaben angefangen?", fragt Alice und wirft sich auf ihren Schreibtischstuhl. Das Kirschholz knarzt unter dem plötzlichen Gewicht und ich lasse mich auf das untere Bett des Hochbettes fallen, mitten auf die Spirit-Decke, die Karla mir zu meinem zwölften Geburtstag vor 2 Monaten geschenkt hat. Sie ist seid neuestem ein Riesenfan von Pferden und hat mit Reiten angefangen. Reiten! Reiten und Karla, die nichts lieber tut, als den ganzen Tag im Zimmer am Computer zu hocken oder Filme zu schauen. Es hat mich mehr als überrascht und in den Sommerferien ist mir schmerzlich bewusst geworden, dass Karla sich weiterentwickelt und ich alles verpasse. Es fühlt sich an, als würden meine beste Freundin und ich uns voneinander entfernen, ohne das ich was dagegen tun kann. Es ist klar gewesen, dass meine Entscheidung, das Internat zu besuchen, uns schwer zusetzen würde, aber es jetzt auch wirklich zu erleben...

"Hey Akemi, alles in Ordnung?", unterbricht Alice meine schwermütigen Gedanken. Ich lächele gezwungen.

"Ja, ja... ich habe nur an den Berg Hausaufgaben gedacht", lüge ich und stehe auf, um zu meinem Schreibtisch zu gehen. Helles Sonnenlicht fällt auf das dunkle Holz und bringt den Füllfederhalter zum glänzen. Ich wühle in meinem Rucksack und ziehe meine Mappe heraus, um mich an die Hausaufgaben zu setzen.

"Hat Herr Richardson euch so viel aufgebrummt?", fragt Alice mitleidig. Sie weiß, dass unser Biolehrer mich hasst. Ich ziehe eine Grimasse.

"Ja, einen zweiseitigen Aufsatz", gestehe ich niedergeschlagen.

"Der hat sie ja wohl nicht alle", schnaubt Alice entgeistert. Ich kann nur nicken. "Ich würde es nicht tun." Darauf antworte ich doch.

"Ja, aber Aufgaben sind Aufgaben. Das ist nicht gut für meine Noten." Alice lehnt sich zurück und fährt mit ihrem Fuß durch den weichen, hellblauen Teppich mit den hellgrauen Punkten. Der Aufbau des Zimmers ist genauso wie mein Altes vom letzten Jahr.

"So pflichtbewusst. Eine gute Eigenschaft", meint Alice und lächelt plötzlich. "Vielleicht sollte ich mir davon eine Scheibe abschneiden", seufzt sie. Hitze kriecht in meine Wangen und verlegen starre ich auf mein leeres Blatt.

"Weiß nicht. Bei den meisten kommt es langweilig an."

"Das sind Idioten." Alice springt selbstbewusst auf. "Aber zum Glück bin ich nicht wie die meisten", zwinkert sie mir zu. Ich lache leise.

"Stimmt wohl." Ich überfliege die Seite und konzentriere mich auf den Text. Alice bemerkt, dass ich jetzt mit den Aufgaben anfange und lässt mich in Ruhe. Sie ist eine gute Mitbewohnerin, sie kann ruhig sein ohne das sich die Stille unbehaglich anfühlt. Ich vertiefe mich in meine Hausaufgaben und genieße, wie die Zeit verstreicht ohne das ich mir Gedanken über mein ziemlich aus den Fugen geratenes Leben machen muss.

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