Kapitel 5: Gegen eine Frau verloren
Um acht Uhr abends herrschte auf der Straumont-Rennstrecke bereits reges Treiben.
Das heutige Rennen war eine Abmachung zwischen Liam und Ken. Die beiden Alphas lagen in Stadt A schon lange im Clinch.
Henry saß am Clubeingang. Der Mann trug Freizeitkleidung, wirkte dabei aber so vornehm und distanziert, dass er kaum in Liams laute Clique passte.
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und runzelte die Stirn.
"Wo bleibt er?"
Liam sagte devot: "Er müsste jeden Moment hier sein."
Es war ja auch nicht leicht gewesen, den Workaholic Henry hierherzulocken. Dieser Ken würde heute eine krachende Niederlage erleben.
Liam grinste, als er Kens Auto heranfahren sah.
Zuerst stieg Ken aus dem Fahrersitz, dann öffnete sich die Beifahrertür.
Eine Frau in grauer Freizeitkleidung stieg aus, ihr leicht gewelltes langes Haar fiel über die Schultern. Sie und Ken kamen langsam näher.
Jetzt erst erkannten alle ihr Gesicht deutlich - makellose Haut, bezaubernde Augen, die einen in ihren Bann zu ziehen schienen. Im Scheinwerferlicht wirkte sie atemberaubend schön.
So schön sie auch war, Liam vergaß nicht, warum sie hier waren.
"Ken, das ist dein Boss? Ich hab heute meinen Bruder mitgebracht. Mach dich schon mal auf eine Niederlage gefasst."
Ken lachte amüsiert und klopfte Olivia auf die Schulter.
"Wenn sie gegen Henry antritt, ist noch lange nicht klar, wer das Nachsehen hat!"
Liam musterte Olivia ungläubig.
"Wirklich? Ken, willst du mich auf den Arm nehmen? Ich hab meinen Bruder mitgebracht, wen willst du hier veralbern?"
Sogar Kens Leute fanden die Situation absurd. Diese Olivia sah aus wie eine verwöhnte Prinzessin - das hier war ein Autorennen, keine Spielzeugautorennbahn.
Und die Straumont-Strecke war berüchtigt für ihre Tücken. Der kleinste Fehler konnte hier tödlich enden.
Ken scherte sich nicht um das Gemurmel.
Olivia blickte zu Liam, dann zu Henry, und sagte mit absichtlich gedämpfter Stimme: "Dann lasst uns anfangen."
Sie band ihr Haar mit einem Gummiband zusammen, nahm den Helm vom Tisch und setzte ihn auf - alles in einem flüssigen Bewegungsablauf.
Als Henry sich noch nicht rührte, lächelte Olivia.
"Was? Alpha Henry, unterschätzt du mich?"
Henry hatte tatsächlich keine Lust, gegen ein Mädchen anzutreten - der Ausgang schien ihm vorbestimmt.
Liam zupfte an seinem Ärmel und flüsterte: "Ich wusste auch nicht, dass Ken ein Mädchen als Verstärkung holt. Aber jetzt sind wir nun mal hier, lass uns das Rennen durchziehen. Fahr sie nicht vollkommen an die Wand, sie ist ja noch so jung und sieht auch noch so hübsch aus..."
Henry runzelte leicht die Stirn, zögerte einen Moment und griff dann nach dem Helm.
Die beiden stiegen in ihre Rennwagen auf der Startlinie.
Alle Anwesenden gingen von einem klaren Ergebnis aus - Henry fuhr schließlich seit seinem achten Lebensjahr Rennen...
Die Regeln waren einfach: Start und Ziel waren identisch, acht Kilometer Strecke, wer zuerst zurückkam, hatte gewonnen.
Die Wagen starteten synchron und verschwanden binnen Sekunden in der ersten Kurve.
Jetzt erst begriff Henry, dass er sie unterschätzt hatte. Diese Frau war keine Anfängerin - sie fuhr, als ginge es um Leben und Tod.
Anscheinend hatte er einen ebenbürtigen Gegner gefunden.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, sein Blick wurde konzentriert.
Nach etwa zehn Minuten erreichte der blaue BMW als Erster die Ziellinie. Mit einem perfekten Drift kam er zum Stehen.
Die Menge traute ihren Augen nicht - Olivia saß am Steuer des blauen Wagens.
Ken sprang jubelnd von seinem Sitz: "Mein Boss ist einfach unglaublich!"
Seine Leute stimmten ein: "Mein Gott, Boss, du bist der Wahnsinn!"
Sie hatten tatsächlich gewonnen!
Einige Sekunden später kreuzte Henrys Wagen auf der Strecke auf.
Liam konnte es nicht fassen - sie hatten verloren!
Olivia stieg aus, Henry ebenfalls.
Sie nahm den Helm ab und lächelte: "Du hast verloren."
Man musste schon sagen: Es fühlte sich großartig an, Henry geschlagen zu haben.
Henrys Miene war düster. Er musterte die Frau vor sich und sagte: "Noch eine Runde."
Beim Autorennen hatte Henry noch nie eine Niederlage einstecken müssen.
Das war das erste Mal - und dann auch noch gegen eine Frau.
