Kapitel 4: Die sich schließenden Wände
Annibal
Ich bleibe stehen, erstarrt vor der Tür, die nicht mehr da ist. Mein Geist verkrampft sich, meine Sicht wird trübe. Der Raum um mich herum beginnt sich zu verzerren, als ob sich die Realität selbst unter dem Einfluss einer unsichtbaren Kraft verdreht. Dieser Raum... Es ist keine Wohnung mehr. Es ist eine Falle. Eine Falle, die ich nicht kommen sah, eine Falle, der ich nicht mehr entkommen kann.
Ich suche verzweifelt nach einem Ausgang, aber alles um mich herum verändert sich. Die Ecken des Raumes scheinen sich zu biegen, fast unmerklich. Die Illusion eines geschlossenen Raumes wird immer bedrückender. Das unsichtbare Labyrinth dehnt sich aus und die Grenzen verschwinden im Schatten.
Ich wende mich ihr zu. Sie ist immer noch da, ruhig, gelassen, beobachtet meine Aufregung mit einer beunruhigenden Gelassenheit. Es ist verrückt, aber es ist, als wäre sie zum Epizentrum von allem geworden, was mir passiert. Ihre Ruhe, ihre Gewissheit sind wie Klingen, die sich in meinen Geist bohren. Sie weiß es. Sie weiß, was passiert, und das verunsichert mich mehr als alles andere.
„Sie haben gesehen, wie die Tür verschwunden ist, nicht wahr?“ Ihre sanfte Stimme, fast wie ein Flüstern, trifft die Luft. Es ist eine einfache Beobachtung, aber jedes Wort hallt in meinem Kopf nach wie eine offensichtliche Wahrheit. “Sie sind nicht in der Welt, die Sie glauben, Anibal.“
Eisige Hitze überkommt mich, sie brennt in mir. Das Unbehagen wächst, drückt mich in die Enge. Ich kann die Panik nicht vertreiben, die in mir aufsteigt, aber ich kämpfe darum, die Kontrolle zu behalten. Ich bin Anibal. Ich habe keine Angst. Ich habe immer noch alles unter Kontrolle. Aber jetzt... Heute Abend bin ich mir über nichts mehr sicher.
„Was wollt ihr von mir?“, meine Stimme ist trocken, aber sie zittert vor Verwirrung. Ich bin nicht hier, um zu verstehen, ich bin hier, um eine Mission zu erfüllen. Ein einziges Ziel. Aber sie ... sie verändert alles.
Sie starrt mich an, ohne sofort zu antworten, ein kaum wahrnehmbares Lächeln schwebt auf ihren Lippen. Sie scheint jeden Krümel meiner Seele zu lesen, als wäre jede Bewegung meiner Lippen eine Seite meines Lebens, die sie mühelos entziffert. Ich bin nackt vor ihr. Und das kann ich nicht ertragen.
„Was ich will?“, wiederholt sie langsam, als würde sie ihre Worte genießen. “Ich will nichts. Sie sind es, der etwas will. Sie sind derjenige, der hier ist, um eine Aufgabe zu erfüllen. Aber die eigentliche Frage, Anibal, ist, warum Sie hier sind. Warum Sie tun, was Sie tun.“
Ihre Worte dringen unter meine Haut, ziehen an meinen Gewissheiten, an meinen Prinzipien. Ich fühle mich angegriffen, aber ich weigere mich, nachzugeben. Sie wird mich nicht kontrollieren. Ich bin stärker als das. Klüger. Konzentrierter.
„Ich habe keine Zeit für Ihre Rätsel“, entgegne ich mit härterer Stimme und wehre die Welle der Verwirrung ab, die mich zu überwältigen droht. “Ich bin nicht hier, um zu diskutieren. Wo ist der Ausgang?“
Ich schaue erneut an den Wänden entlang und suche verzweifelt nach einer Antwort, aber alles, was ich sehe, ist die sich bewegende Dunkelheit, die mich verschlingt. Der Raum selbst scheint mich verschlingen zu wollen.
Er bewegt sich langsam auf mich zu, ohne ein Geräusch zu machen, als ob er über dem Boden schweben würde. Er hat es nicht eilig. Er scheint mich nur zu beobachten, zu studieren. Als sie ein paar Zentimeter vor mir stehen bleibt, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Mein Atem wird schneller, eine spürbare Unbehaglichkeit. Ich versuche, sie zu kontrollieren, aber es ist schwierig. Sie ist da, in meiner Nähe, und jede Faser meines Wesens sagt mir, dass etwas nicht stimmt.
„Du hast immer gehandelt, ohne darüber nachzudenken, was unter der Oberfläche lauert, Anibal. Du hast dir eine Maske geschaffen. Du bist zu dem geworden, was du zu sein glaubst ... ein Mörder. Aber tief im Inneren bist du viel mehr als das, nicht wahr? Du hast getötet, ja. Aber mehr als das, du hast Leben ausgelöscht, Erinnerungen, Spuren ... um nie dem ins Auge sehen zu müssen, was du wirklich bist.“ Sie macht eine Pause und ihre Augen tauchen in meine ein. Sie wartet, als wüsste sie bereits, was ich sagen werde.
Ich fühle mich angegriffen, verunsichert. Aber ich weigere mich, ihr diese Macht zu überlassen. „Ich bin ein Profi“, antworte ich mit rauer Stimme. „Bei dem, was ich tue, geht es nicht darum, sich selbst im Spiegel zu betrachten. Sie verstehen das nicht. Sie sind nur ein Ziel.“
Sie lächelt, ein trauriges, aber verständnisvolles Lächeln, als ob sie gewusst hätte, dass ich das antworten würde. Als hätte sie diese Verteidigung schon tausendmal gesehen.
„Ah, Sie irren sich, Anibal. Was Sie tun, ist nicht nur Töten. Sie zerstören alles, was Sie daran erinnern könnte, wer Sie sind. Sie löschen jede Erinnerung, jedes Stück von Ihnen, das Sie zweifeln lassen könnte. Aber tief im Inneren wissen Sie das, nicht wahr? Sie haben sich schon lange verloren, bevor Sie hierherkamen.“
Ich ballte die Fäuste und bemühte mich, nicht nachzugeben. Es kam nicht in Frage, sie die Kontrolle übernehmen zu lassen. Ich bin hier, um eine Mission zu erfüllen, nicht um mich selbst in Frage zu stellen. Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Und doch durchdrangen mich ihre Worte. Sie weckten Zweifel, die ich für immer begraben glaubte.
„Sie wissen nichts über mich“, antworte ich ihr, meine Stimme ist heiser, unwillkürlich zitternd. “Sie können das nicht verstehen.“
Sie kommt näher, bis zwischen uns keine Distanz mehr besteht. Ich habe das Gefühl, dass die Luft um uns herum dichter ist, dass alles in dieser Nähe erstarrt. Ich starre sie an, eine Angst, die ich nicht ignorieren kann, überkommt mich. Es ist die Angst vor mir selbst.
„Ich weiß, was aus dir geworden ist“, sagt sie ruhig zu mir. “Und du weißt es auch. Du hast versucht zu fliehen, aber jetzt bist du hier. Du kannst nicht gehen, bis du die Wahrheit akzeptiert hast.“
Ich versuche, mich von ihr abzuwenden, aber es gibt keinen Ausweg mehr. Keine Tür. Kein Fenster. Nur dieser Raum, der mich einengt, der mich gefangen hält. Der Raum ist nicht mehr nur eine Wohnung, er ist ein Spiegelbild meines eigenen Geistes, ein endloses Labyrinth.
„Ich habe keine Zeit für deine Spielchen“, sage ich und beiße die Zähne zusammen, um diese Atmosphäre, die mich erstickt, zu verdrängen. “Ich bin hier, um zu beenden, was ich begonnen habe.“
Sie sieht mich einen Moment lang an, ihr Blick ist nicht wertend, sondern versteht mich auf seltsame, stille Weise. Dann antwortet sie mit sanfter, aber fester Stimme:
„Sie können es versuchen. Aber Sie werden diesen Ort nicht verlassen, bevor Sie die Wahrheit akzeptiert haben.“
Und zum ersten Mal überkam mich ein dumpfer Schrecken. Bei dieser Mission ging es nicht nur darum zu töten. Nein. Es war eine Konfrontation mit mir selbst. Und vielleicht ganz einfach mit meiner Seele.
