Kapitel 3: Das Labyrinth des Unbekannten
Annibal
Völlige Dunkelheit umhüllte mich und ich spürte, wie mein Herz leicht zu pochen begann. Der Raum schien sich um mich herum zusammenzuziehen, jeder Schatten wurde bedrückender, jede Bewegung unsicherer. Ich war nicht mehr allein in diesem Raum. Das wusste ich. Sie war immer noch da, irgendwo, starrte mich an, wartete. Aber wo? Wie soll man reagieren, wenn alles verschwimmt?
Ich spitzte die Ohren und suchte nach einem Geräusch, einem Hinweis, etwas, das mich in dieser absoluten Leere leiten könnte. Aber ich hörte nichts außer meinem eigenen Atem, der jetzt schneller und lauter war, als ich es mir gewünscht hätte. Dann, in dieser völligen Dunkelheit, eine Stimme. Sanft, aber bestimmt. Sie schien aus allen Ecken des Raumes zu kommen, wie ein unsichtbares Echo.
„Du hast dich verirrt, Anibal.“
Der Name, ausgesprochen von einer ruhigen, aber durchdringenden Frauenstimme, wirkte wie ein Elektroschock. Ich hatte noch nie jemanden meinen Namen sagen hören. Diejenigen, die ich eliminierte, die Opfer, waren alle anonym. Ich hatte nie eine Verbindung, kein Einfühlungsvermögen gehabt. Aber dieses einfache Wort, das in der Dunkelheit ausgestoßen wurde, ließ mich zweifeln, erschütterte mich wie eine Welle, die auf einen festen Felsen trifft.
Ich suchte in meiner Jacke nach meiner Taschenlampe, aber als ich sie herausholte, bemerkte ich, dass meine Hand zitterte. Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Kontrolle wiederzugewinnen. Ich musste ruhig bleiben. Es war nur eine Ablenkung, ein kleines Missgeschick. Ich musste einen Ausweg finden. Aber tief in mir flüsterte eine kleine Stimme, dass es nicht so einfach war. Diese Begegnung, diese Frau ... alles schien zu seltsam, zu außer Kontrolle geraten.
Schließlich ging das Licht an, aber nicht dort, wo ich es erwartet hatte. Im hinteren Teil des Raumes hinter mir ging plötzlich ein gedämpftes Licht an und warf eine helle Silhouette an die Wand. Es war sie. Sie stand da vor mir im sanften Licht, aber ihre Präsenz schien größer denn je.
Sie hatte immer noch dieses rätselhafte Lächeln, diesen Schimmer in ihren Augen, der nicht zu der Situation passte. Ich musterte sie und versuchte zu verstehen, was vor sich ging, aber nichts in ihrem Verhalten deutete auf eine unmittelbare Bedrohung hin. Sie schien weder fliehen noch mich angreifen zu wollen. Sie stand da, stabil, in einer entspannten Haltung.
„Du hast dich schon lange verirrt, bevor du hier hereingekommen bist, Anibal.“ Sie machte eine Pause und starrte mich intensiv an. “Du siehst es nicht, oder? Du bist in einem Labyrinth. Aber du kannst nicht einmal herauskommen.“
Der Ton ihrer Stimme, sanft, aber bedeutungsvoll, erzeugte eine seltsame, fast übernatürliche Stimmung. Ich ging langsam vorwärts und analysierte jede Bewegung. Ich konnte es mir nicht leisten, Angst zu haben. Es war nur eine Frau. Ich hatte sie beobachtet, ich wusste alles über sie. Oder zumindest dachte ich, alles zu wissen.
Aber der Raum schien anders. Alles wirkte verschwommen. Ich hatte das Gefühl, die Wände bewegten sich, der Raum um mich herum wurde enger. Ich schüttelte den Kopf und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Vielleicht war es eine Falle. Ein Test. Aber ich durfte mich nicht ablenken lassen.
„Wer sind Sie wirklich?“, fragte ich mit fester Stimme. “Das ist nicht normal. Sie ... Sie sollten nicht hier sein.“
Sie brach in ein Lachen aus, ein leises, fast melodiöses Lachen, das aber einen kalten Schauer über den Rücken jagen konnte. Langsam kam sie näher, ihre Augen leuchteten geheimnisvoll.
„Sie finden mich seltsam, nicht wahr?“, sagte sie mit einem Hauch von Schalk. “Aber Sie sind nicht an einem Ort, an dem Sie die Kontrolle haben. Sie glauben, Sie wissen alles, nicht wahr? Sie haben sich immer für unbesiegbar gehalten, den perfekten Schatten, der alles um sich herum manipuliert. Aber ich glaube, Sie haben eines vergessen.“
Ich fühlte mich in die Enge getrieben. Ich verstand nicht. Jedes Wort, das sie sagte, schien unter meine Haut zu kriechen, in meine Gedanken einzudringen und das zu erschüttern, was ich für meine Wahrheit hielt. Ich bemühte mich, die Verwirrung zu verdrängen, die sich langsam in meinem Kopf ausbreitete. Sie war nur ein Ziel. Sie musste das Ziel sein.
Ich richtete mich auf, meine Hand immer noch umklammert um meine Waffe, aber sie kam mir zuvor und glitt mit fast übernatürlicher Beweglichkeit an mir vorbei.
„Du hast immer geglaubt, du stehst über allem, aber das alles ... das alles war nur eine Illusion.“ Sie blieb direkt vor mir stehen und legte eine Hand auf meinen Oberkörper. “Du bist nicht das, was du zu sein glaubst.“
Ich stieß sie abrupt zurück, außer Atem. Ich wusste, dass ich sie nicht so nahe an mich heranlassen durfte. Es war eine Verletzung meiner Komfortzone, etwas, das ich nicht tolerieren konnte. Doch tief in mir drin schrie eine kleine Stimme, dass dieser Moment nicht nur eine Frage der Mission war. Es war viel mehr als das. Ich spürte es tief, tief in meinem Inneren.
Sie trat ein Stück zurück, ihr Lächeln aber blieb auf ihren Lippen. Sie schien mit mir zu spielen, mich in ein Spiel zu verwickeln, das ich nicht verstand. Aber was wollte sie mir sagen? Was versuchte sie mir zu zeigen? Diese Worte... sie trafen mich wie eine Flutwelle, und ich wusste nicht, wie ich mich verteidigen sollte.
Ich entfernte mich ein paar Schritte, mein Geist kochte. Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Jede Sekunde, die ich hier verbrachte, schien mich ein Stück weiter von der Realität zu entfernen, die ich kannte. Die Mission wurde verschwommen, unwirklich. Wie konnte es so aus dem Ruder laufen?
Sie sah mich schweigend an, aber ihre Augen drückten mehr als nur Vergnügen aus. Sie waren von einer Art stiller Einsicht erfüllt. Sie wusste, was ich dachte, was ich fühlte. Und je mehr ich versuchte, dieser Wahrheit zu entkommen, desto tiefer versank ich in meinem eigenen inneren Labyrinth.
„Du bist gekommen, um zu töten, nicht wahr, Anibal?“, fragte sie leise, als würde sie eine ganz einfache Frage stellen. “Aber weißt du, das Töten war nie dein Problem. Du hattest immer Angst, dich zu verlieren, dich selbst zu finden.“
Ich ballte die Fäuste, mein Atem wurde kürzer. Diese Worte frustrierten mich, ärgerten mich. Ich war nicht hier, um Gedankenspiele zu hören. Ich war hier, um eine Mission zu erfüllen. Aber je mehr ich gegen dieses wachsende Gefühl des Zweifels kämpfte, desto mehr spürte ich, dass diese Mission nur noch ein Vorwand war. Eine Illusion, die ich mir selbst erschaffen hatte, um der Realität dessen, was ich geworden war, nicht ins Auge sehen zu müssen.
Ich musste gehen. Ich musste die Kontrolle wiedererlangen.
Doch als ich mich anschickte, die Wohnung zu verlassen, stellte ich fest, dass die Tür, durch die ich hereingekommen war, verschwunden war.
