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Damals war es das teuerste Wohngrundstück Chicagos: 1.400 Quadratmeter für 28 Millionen Dollar. Mein Vater spottete, das sei typisch für Iren, mit ihrem Geld zu protzen. „Ein Ire trägt einen 1.200-Dollar-Anzug, hat aber kein Geld für ein Bier in der Tasche“, sagte er.
Ob das nun wahr ist oder nicht, die Griffins können im Allgemeinen jede Menge Bier ausgeben, wenn sie wollen. Sie haben Geld zum Ausgeben und tun dies im wahrsten Sinne des Wortes in Form ihres Feuerwerks, das Disneyworld immer noch in den Schatten stellt. Aber das ist mir egal ... zuerst will ich etwas von dem teuren Champagner, der von den Kellnern herumgereicht wird, und dann das, was auf dem Buffet zu einem Turm aufgetürmt ist. Ich werde mein Bestes tun, um diese hochnäsigen Wichser in den Bankrott zu treiben, indem ich mein Gewicht in Krabbenbeinen und Kaviar esse, bevor ich von hier gehe.
Die Party findet draußen auf der weitläufigen grünen Wiese statt. Es ist die perfekte Nacht dafür ... ein weiterer Beweis für das Glück der Iren. Alle lachen, reden, stopfen sich voll und tanzen sogar ein bisschen, obwohl Demi Lovato noch nicht auftritt, sondern nur ein normaler DJ spielt. Ich hätte mich wohl umziehen sollen. Ich sehe kein einziges Mädchen ohne Glitzerkleid und High Heels. Aber das wäre auf dem weichen Gras höllisch lästig gewesen, also bin ich froh, dass ich nur Sandalen und Shorts trage.
Ich sehe Nessa Griffin, umringt von Leuten, die ihr zu ihrer monumentalen Leistung gratulieren, neunzehn Jahre lang am Leben geblieben zu sein. Sie trägt ein hübsches, schlichtes und unkonventionelles cremefarbenes Sommerkleid. Ihr hellbraunes Haar fällt ihr offen um die Schultern. Sie ist leicht gebräunt und hat ein paar zusätzliche Sommersprossen auf der Nase, als wäre sie den ganzen Morgen auf dem See gewesen. Sie errötet von all der Aufmerksamkeit und sieht süß und glücklich aus.
Ehrlich gesagt ist Nessa von allen Griffins die Beste. Wir sind auf dieselbe Highschool gegangen. Wir waren keine Freundinnen, da sie ein Jahr jünger war und eher brav. Aber sie schien ganz nett zu sein.
Ihre Schwester hingegen ... Ich sehe Riona schon vor mir, wie sie eine Kellnerin zusammenstaucht, bis das arme Mädchen in Tränen ausbricht. Riona Griffin trägt eines dieser steifen, engen Etuikleider, die eher in den Sitzungssaal als auf eine Party im Freien gehören. Ihre Haare sind noch enger zurückgekämmt als ihr Kleid. Feuerrotes Haar stand noch nie jemandem weniger ... als hätte die Genetik versucht, sie lustig zu machen, und Riona hätte geantwortet: „Ich habe in meinem ganzen Leben keinen einzigen Moment Spaß, vielen Dank.“ Sie mustert die Gäste, als wolle sie die Wichtigsten einpacken und markieren.
Ich drehe mich um, um meinen Teller nachzufüllen, bevor sie mich sieht. Meine Brüder haben sich schon abgespalten, kaum dass wir angekommen sind.
Ich sehe, wie Nero auf der Tanzfläche mit einer hübschen Blondine flirtet. Dante ist zur Bar gegangen, denn er wird keinen kitschigen Champagner trinken. Sebastian ist komplett verschwunden ... das ist nicht einfach, wenn man 1,98 m groß ist. Ich schätze, er hat ein paar Bekannte gesehen. Alle mögen Sebastian und er hat überall Freunde. Ich muss mal. Ich sehe schon die Außentoiletten, die die Griffins diskret am anderen Ende des Grundstücks aufgestellt haben, abgeschirmt durch ein hauchdünnes Vordach. Aber ich pinkle nicht in ein Dixi-Klo, selbst wenn es ein schickes ist. Ich pinkle in ein richtiges Griffin-Badezimmer, genau dort, wo sie ihre blütenweißen Hinterteile hinsetzen. Außerdem habe ich dann die Möglichkeit, in ihrem Haus herumzuschnüffeln. Das erfordert allerdings ein bisschen Geschick. Sie haben den Hauseingang deutlich besser gesichert und ich habe kein Geld mehr für Bestechungsgelder.
Sobald ich mir eine Stoffserviette über die Schulter geworfen und das Tablett eingesteckt habe, das die schluchzende Kellnerin zurückgelassen hat, muss ich nur noch ein paar leere Gläser einpacken. Dann schleiche ich mich in die Serviceküche. Wie eine brave Angestellte stelle ich das Geschirr an der Spüle ab und verschwinde dann im Haus.
Herrgott noch mal, ist das ein verdammt schönes Haus! Ich meine, wir sind angeblich Todfeinde, aber ich kann ein besser ausgestattetes Haus schätzen als alles, was ich je bei House Hunters gesehen habe. Sogar bei „House Hunters International“.
Es ist einfacher, als ich erwartet hätte: Alles sind cremige, glatte Wände und Naturholz, niedrige, moderne Möbel und Lampen, die wie Industriekunst aussehen. Es gibt auch viel echte Kunst: Gemälde, die wie Farbblöcke aussehen, und Skulpturen aus gestapelten Formen. Ich bin kein Banause ... ich weiß, dass die Gemälde entweder von Rothko sind oder so aussehen sollen. Aber ich weiß auch, dass ich ein Haus nicht annähernd so hübsch gestalten könnte, selbst wenn ich hundert Jahre und ein unbegrenztes Budget dafür hätte.
Jetzt bin ich wirklich froh, dass ich mich hier reingeschlichen habe, um zu pinkeln. Ich finde das nächstgelegene Badezimmer den Flur entlang. Tatsächlich ist es ein wahres Luxus-Exemplar: herrliche Lavendelseife, weiche, flauschige Handtücher und Wasser, das mit der perfekten Temperatur aus dem Wasserhahn kommt ... nicht zu kalt und nicht zu heiß. Wer weiß ... vielleicht bin ich der Erste, der dieses große Gebäude überhaupt betritt. Die Griffins haben wahrscheinlich jeweils ein eigenes Badezimmer. Sie werden wohl beschwipst sein und sich in diesem Labyrinth verirren.
Sobald ich fertig bin, weiß ich, dass ich wieder nach draußen gehen sollte. Ich hatte mein kleines Abenteuer und es ist sinnlos, mein Glück herauszufordern. Stattdessen schlich ich die breite, geschwungene Treppe ins Obergeschoss hinauf. Das Erdgeschoss wirkte zu förmlich und steril wie ein Musterhaus. Ich wollte sehen, wo diese Leute wirklich wohnen. Links von der Treppe fand ich ein Schlafzimmer, das Nessa gehören musste. Es ist gemütlich und feminin eingerichtet und voller Bücher, Stofftiere und Malsachen. Auf dem Nachttisch liegt eine Ukulele und mehrere Paar Turnschuhe wurden hastig unter das Bett geschoben. Das Einzige, was nicht sauber und neu ist, sind die Ballettschuhe, die an ihren Bändern über der Türklinke hängen. Sie sind total abgenutzt und die Satinspitzen haben Löcher.
Gegenüber von Nessas Zimmer ist eines, das wahrscheinlich Riona gehört. Es ist größer und blitzblank aufgeräumt. Ich sehe hier keine Anzeichen für Hobbys. Nur ein paar wunderschöne asiatische Aquarelle hängen an den Wänden. Ich bin enttäuscht, dass Riona keine Regale mit alten Trophäen und Medaillen hat. Sie scheint mir definitiv der Typ dafür zu sein.
Hinter den Mädchenzimmern liegt die Master-Suite. Da gehe ich nicht hinein. Es kommt mir auf einer anderen Ebene falsch vor. Es muss doch irgendeine Grenze geben, die ich nicht überschreiten möchte, wenn ich mich in jemandes Haus herumschleiche. Also drehe ich mich um und finde mich in einer großen Bibliothek wieder. Genau wegen dieser mysteriösen Sache bin ich hergekommen. Was lesen die Griffins? Lesen sie nur in Leder gebundene Klassiker oder sind sie heimliche Anne-Rice-Fans? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.
Es sieht so aus, als würden sie Biografien, Architekturbände und ja, alle Klassiker bevorzugen. Sie haben sogar eine Abteilung, die den berühmten irischen Autoren von einst gewidmet ist, darunter James Joyce, Jonathan Swift, Yeats und George Bernard Shaw. Anne Rice gibt es zwar nicht, aber immerhin Bram Stoker. Schau mal, sie haben sogar ein signiertes Exemplar von Dubliners. Mir ist egal, was die Leute sagen, ich finde, dieses verdammte Buch ist unverständlich. Die Iren sind mit vollem Eifer dabei und tun so, als wäre es ein Meisterwerk der Literatur, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass es sich lediglich um Geschwätz handelt.
Neben den deckenhohen Bücherregalen ist die Bibliothek voller gepolsterter Ledersessel. Drei davon sind um einen großen Steinkamin angeordnet. Trotz des warmen Wetters brennt im Kamin ein kleines Feuer. Es handelt sich nicht um ein Gasfeuer, sondern es brennen echte Birkenscheite, die angenehm riechen. Über dem Kamin hängt das Gemälde einer hübschen Frau. Darunter stehen auf dem Kaminsims mehrere Gegenstände, darunter eine Reiseuhr und eine Sanduhr. Dazwischen steht eine alte Taschenuhr. Ich hebe sie vom Kaminsims auf. Sie liegt überraschend schwer in meiner Hand und das Metall fühlt sich warm statt kühl an. Ich kann nicht sagen, ob es sich um Messing oder Gold handelt. Ein Teil der Kette hängt noch dran, sieht aber so aus, als wäre sie auf halber Länge abgebrochen. Das Gehäuse ist geschnitzt und beschriftet, aber so abgenutzt, dass ich nicht mehr erkennen kann, was das Bild einmal dargestellt hat. Ich weiß auch nicht, wie man es öffnet.
Gerade als ich am Mechanismus herumspiele, höre ich draußen im Flur ein Geräusch ... ein leises Klirren. Schnell stecke ich die Uhr in die Tasche und verkrieche mich hinter einem der Sessel, dem, der dem Kamin am nächsten ist. Ein Mann betritt die Bibliothek. Er ist groß, hat braunes Haar und ist um die dreißig. Er trägt einen perfekt geschnittenen Anzug und ist äußerst gepflegt. Er ist gutaussehend, aber auf eine harsche Art ... als würde er einen aus dem Rettungsboot stoßen, wenn es nicht genug Plätze gäbe. Oder vielleicht sogar, wenn man vergessen hätte, sich die Zähne zu putzen.
Ich habe diesen Typen noch nie getroffen, bin mir aber ziemlich sicher, dass es sich um Callum Griffin handelt, den ältesten der Griffin-Geschwister. Das heißt, er ist so ziemlich der Schlimmste, den ich in der Bibliothek erwischen kann. Leider scheint er vorzuhaben, noch eine Weile zu bleiben. Er setzt sich fast direkt mir gegenüber in einen Sessel und liest E-Mails auf seinem Handy. Er hält ein Glas Whisky in der Hand und nippt daran. Genau dieses Geräusch habe ich gehört: das Klirren der Eiswürfel. Hinter dem Sessel ist es extrem eng und unbequem. Der Teppich auf dem Parkettboden ist nicht besonders bequem und ich muss mich zusammenkauern, damit weder Kopf noch Füße seitlich herausragen. Außerdem ist es direkt am Kamin höllisch heiß. Wie soll ich hier bloß wieder rauskommen?
Callum nippt und liest immer noch. Nippen. Lesen. Nippen. Lesen. Das einzige andere Geräusch ist das Knacken der Birkenholzscheite. Wie lange wird er noch hierbleiben? Ich kann nicht ewig bleiben. Meine Brüder werden mich gleich suchen.
Ich mag es nicht, festzustecken. Ich fange an zu schwitzen, vor lauter Hitze und Stress.
Das Eis in Callums Glas klingt so kühl und erfrischend.
Gott, ich möchte etwas trinken und weg hier.
Wie viele verdammte E-Mails hat er denn?
Aufgeregt und genervt schmiede ich einen Plan. Wahrscheinlich den dümmsten, den ich je ausgeheckt habe.
Ich greife hinter mich und schnappe mir die Quaste, die von den Vorhängen hängt. Es ist eine dicke, goldene Quaste, die an grünen Samtvorhängen befestigt ist.
Wenn ich sie ganz herausziehe, kann ich sie einfach um den Rand des Rosts herumstecken, direkt in die Glut.
Mein Plan ist, sie zum Rauchen zu bringen, wodurch Callum abgelenkt wird und ich mich unbemerkt vom Stuhl zur Tür hinausschleichen kann. Das ist der geniale Plan.
Aber weil dies kein Nancy-Drew-Roman ist, passiert Folgendes:
Die Flammen zerreißen das Kabel, als wäre es in Benzin getaucht, und versengen meine Hand. Ich lasse die Schnur fallen, die zurück zum Vorhang schwingt. Dann fängt der Vorhang Feuer. Flüssiges Feuer lodert augenblicklich zur Decke empor.
Das erfüllt tatsächlich seinen Zweck, Callum Griffin abzulenken. Er schreit auf, springt auf und stößt dabei seinen Stuhl um. Allerdings geht meine Ablenkung auf Kosten aller Subtilität, denn ich muss mein Versteck verlassen und aus dem Zimmer sprinten. Ich weiß nicht, ob Callum mich gesehen hat, aber es ist mir auch egal.
Ich sollte nach einem Feuerlöscher oder Wasser suchen. Außerdem sollte ich sofort hier verschwinden.
Genau das setze ich um: Ich sprinte mit Vollgas die Treppe hinunter.
Unten pralle ich mit jemandem zusammen und fahre ihn fast um. Es ist Nero mit der hübschen Blondine direkt hinter ihm. Ihre Haare sind völlig zerzaust und er hat Lippenstift im Nacken.
„Jesus“, sage ich. „Ist das ein neuer Rekord?“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sie erst vor etwa acht Sekunden kennengelernt hat.
Nero zuckt mit den Schultern und ein Grinsen huscht über sein hübsches Gesicht.
„Wahrscheinlich“, sagt er.
Rauch steigt über das Geländer. Callum Griffin schreit aus der Bibliothek. Nero blickt verwirrt die Treppe hinauf.
„Was ist los?“
„Schon gut“, sage ich und packe ihn am Arm. „Wir müssen hier raus.“ Ich ziehe ihn in Richtung Serviceküche, kann meinen eigenen Rat aber nicht ganz befolgen. Ich werfe einen Blick über die Schulter zurück. Da sehe ich Callum Griffin oben an der Treppe stehen. Er starrt uns mit mörderischem Gesichtsausdruck hinterher.
Wir sprinten durch die Küche, stoßen ein Tablett mit Canapés um und sind dann zur Tür hinaus, zurück auf den Rasen.
„Such Sebastian, ich hole Dante“, sagt Nero.
Wortlos lässt er den Blonden stehen und joggt über den Hof davon.
Ich renne in die entgegengesetzte Richtung und suche die große, schlaksige Gestalt meines jüngsten Bruders.
Drinnen im Haus heult ein Feueralarm.
