Kapitel 5
Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl herum und warte auf Direktor Collins. Seit heute Morgen brenne ich darauf, herauszufinden, was es mit diesem Turnier auf sich hatte. Es schien etwas Großes zu sein, denn plötzlich scheine ich die Worte an jeder Ecke aufzuschnappen, nur sobald wir jüngeren Schüler näherkamen, wechselten die älteren Schüler einfach die Themen. Ihre schadenfrohen Blicke, wenn wir uns enttäuscht wegschlichen, entgingen mir nicht.
"Akemi, dein Gezappel nervt." Ich versteife mich und warf Dylan einen kurzen Blick zu.
"Sorry. Ich bin nur so aufgeregt", seufze ich.
"Hmpf. Das ist unnötig", meint der Junge gelassen, dennoch entgeht mir das Funkeln in seinen eisblauen Augen nicht. Genauso wie sein Blick leicht ungeduldig immer wieder zur Tür zuckt, wie bei mir. Daher lächele ich nur wissend und spiele mit dem Füller in meiner Hand. Zwei Minuten später kommt Direktor Collins in unser Klassenzimmer. Gemächlich legt er seine Tasche auf den Tisch, setzt sich auf den Lehrerstuhl und lässt seinen goldgrünen Blick über die Klasse schweifen. Zum ersten Mal überhaupt ist es völlig still.
"Guten Morgen"
"Guten Morgen", erschallt es im Chor. Bethany und Chester schweigen wie immer entschlossen.
"Ich bin mir sicher, dass ihr von dem Vier-Mond-Turnier gehört habt", beginnt der erwachsene Lykanthrop mit einer ausschweifenden Geste. Alle Gesichter richten sich wie gebannt auf unseren Lehrer. Auch ich hänge ihm voller Neugier an den Lippen. "Zu unserem Bedauern konnte unsere Schule letztes Jahr wegen der tragischen Ereignisse nicht an dem Turnier teilnehmen, aber dieses Jahr freue ich mich verkünden zu können, dass wir wieder an den Spielen teilnehmen werden." Der blonde Lehrer lächelt breit. Die Schüler tauschen einige verwirrte oder irritierte Blicke untereinander, auch ich sehe Dylan verständnislos von der Seite an, der zuckt genauso ahnungslos mit den Schultern. Direktor Collins Blick wird verschmitzter."Ich vergaß, damit könnt ihr nichts anfangen. Also erkläre ich vielleicht erstmal, was das Turnier ist." Zustimmendes Gemurmel erhebt sich, ich bleibe stumm. "Jedes Jahr wird in jedem Staat des Landes ein Turnier veranstaltet, an dem alle Schulen für Lykanthropie in denselben Staaten an einem vierwöchigen Turnier antreten. Dabei wird ein Spiel pro Woche stattfinden. Das Vier-Mond-Turnier ist eine 94-jährige Tradition. Es findet immer an einer der teilnehmenden Schulen statt, die die anderen Schulen für diese Zeit aufnimmt. Man könnte es als Klassenfahrt bezeichnen. Für dieses Turnier werden insgesamt acht Schüler und Schülerinnen einer Rudelklasse ausgewählt, die dieses vertreten." Aufgeregtes Murmeln brandet wie eine Welle auf und schlägt in der Luft zusammen. Collins Augen funkeln nachsichtig, als er seine Arme schweigend anhebt. Die Gespräche verstummen wieder, ich beuge mich über meinen Tisch und starre meinen Lehrer aufgeregt an. Das klingt so cool... "Welche Schüler das sind, entscheiden aber die unterrichtenden Lehrer. Sie können euch am besten einschätzen. Selbst entscheiden werdet ihr erst ab eurem 4. Lehrjahr. Und eine besondere Freude ist es, dass das Turnier das erste Mal seit fünf Jahren wieder auf der St. Wolfram veranstaltet wird. Wir werden also die Gastgeber dieses spannenden Events sein", verkündet Collins mit strahlendem Gesicht. Ein zögerlicher Applaus folgt, die meisten sprechen bereits untereinander.
"Was sind das für Spiele genau?", ruft Daniel, ein kräftiger Junge mit dunkelblonden Haaren, durch die sich hellere Strähnen ziehen. Direktor Collins lächelt milde.
"Das erfahrt ihr noch früh genug. Für jeden Jahrgang gibt es andere Arten der Spiele, die erst nach den Weihnachtsferien verraten werden. Aber das sind erstmal genug Informationen, an denen ihr zu kauen habt. Näheres erfahrt ihr in den folgenden Briefen." Der Deutschlehrer greift in seine braune Ledertasche und zieht einen Packen weißer Umschläge hervor. "Eve, wärst du so nett die Briefe auszuteilen?" Das zierliche Mädchen, das auch als Klassensprecherin fungiert, steht sofort auf, ich kann das stolze Glänzen in ihren haselnussbraunen Augen erkennen, als sie die Umschläge nimmt und nach und nach austeilt. Als sie bei uns in der letzten Reihe ankommt, nehme ich den hauchzarten Duft von Honig unter dem Moschusgeruch der Werwölfin wahr, der an jedem Werwolf haftet. Bei manchen stärker, bei anderen weniger ausgeprägt. Bei Eve ist der Geruch sehr herbig, gar nicht passend zu ihrem zierlichen, blassen Äußeren. Wortlos legt sie Dylan und mir einen Brief hin und nimmt den letzten übrig Gebliebenen mit an ihren Platz. Collins wartet geduldig, bis wir die Briefe weggepackt haben.
"Warum können wir sie nicht jetzt schon lesen und den Unterricht aussetzen", murre ich leise und werfe einen sehnsüchtigen Blick auf meinen Rucksack. Mein ganzer Körper vibriert vor Aufregung. Dylan lacht leise und stupst mich nur an.
"Das kommt von der eifrigsten Streberin, die ich je kennengelernt habe", witzelt er. "Färbt mein Verhalten etwa auf dich ab?" Als Antwort stoße ich meine Schulter freundschaftlich gegen Seine.
"Bilde dir nichts drauf ein. Ich bin einfach nur neugierig, eine meiner vielen Schwächen", seufze ich. Dylan wirft mir einen seltsamen Seitenblick zu und öffnet seinen Mund, als Direktor Collins wieder um Aufmerksamkeit bittet.
"Ich weiß, ich weiß, ihr wollt noch mehr wissen, aber erstmal kommen wir wieder zum Unterricht. Bei weiteren Fragen könnt ihr euch auch noch am Ende der Stunde an mich wenden. Und jetzt schlagt euer Grammatikbuch auf Seite 47 auf, wir gehen heute noch einmal die Kommasetzung durch", erklärt der Lehrer, schlägt sein eigenes Buch auf und kramt in seinem Silberdöschen, das die Kreide für die Tafel enthielt. Bethany stöhnt laut, Chester zischt irgendwas grimmiges und auch in einigen anderen Ecken werden unzufriedene Gespräche laut.
"Was soll das? Ich sterbe vor Neugier", beschwert sich Liam vor uns. Er hat im letzten Jahr ebenfalls eine eigene Clique zusammengetrommelt, die ihm jetzt zustimmt.
"Ich will unbedingt an dem Turnier teilnehmen!", bekundet Nick sehnsuchtsvoll und fährt sich durch die hellbraunen, struppigen Haare. Liam wirft seinem Kumpel einen eindringlichen Blick zu.
"Nicht vor mir", flüstert er. "Ich bin der Anführer unserer Truppe", brüstet er sich. Nick senkte seinen Kopf, mir entgeht aber nicht der finstere Ausdruck, der zuvor über sein Gesicht gehuscht ist. Ich runzele meine Stirn und schüttele innerlich meinen Kopf. Diese Wölfe immer und ihre blöden Hierarchien. Ich halte davon immer noch wenig. Würde ich wahrscheinlich auch nie. Wieder einmal danke ich Gott dafür, dass ich nicht bei den Princeps gelandet bin. Wer weiß, was man da für Unterricht bekommt, um ein zukünftiger Alpha oder Beta zu werden. Sowas wollte ich definitiv nicht. Als schwächstes Glied unserer Clique bin ich zufrieden, denn Dylan und Alice behandeln mich ganz normal. Wie es an einer normalen Middleschool wäre.
"Der einzige wahre Alpha hier ist Barron", zischt da Chester von seinem Platz aus. Er sitzt zwei Tische von Liam weg. Der zuckt nur kurz zusammen, beißt dann aber seine Zähne zusammen.
"Glaubst du. Ich würde niemals gegen ein Mädchen verlieren", zischt Liam höhnisch zurück. Wann war das Gespräch in diese Richtung gelaufen? Trotzdem kann ich ein schadenfrohen Grinsen nicht unterdrücken, das ich rasch hinter meinen Haaren verberge.
"Das habe ich gesehen", wispert Dylan wissend. Ich sage nichts.
"Hört bitte auf. Und macht, was ich sage, ich bin der Alpha der St. Wolfram, vergesst das nicht", unterbricht Collins die Streitgespräche mit einem scharfen Unterton. Etwas mächtiges schwingt in seinen Worten mit, das mir einen Schauer über den Rücken jagt. Den anderen scheint es ähnlich zu ergehen, denn sie verstummen unterwürfig. Manchmal vergisst man, welche mächtige Aura Collins hat, die meist von seiner großzügigen, warmherzigen Art überlagert wird.
"Also, Bücher aufschlagen, sofort." Wir folgen diesmal seiner Anweisung und versuchen uns auf den Unterricht zu konzentrieren. Dennoch schweifen meine Gedanken immer wieder zu diesem mysteriösen Turnier ab. Ich würde alles tun, um mehr darüber herauszufinden.
