Kapitel 1: Deine Liebe war nichts Besonderes
In der Psychiatrie Yhamond.
Nora Werdin war bereits drei volle Monate in diesem düsteren, feuchtkalten Raum gefangen. Das Bettlaken unter ihr war von Exkrementen und Urin durchtränkt und verbreitete einen beißenden Gestank, der einem den Atem raubte. Drei Monate lang hatten die täglichen Injektionen ihren einst gesunden Körper in ein Skelett verwandelt. Die stolze Erbin der Werdins war nicht einmal mehr in der Lage, sich eigenständig umzudrehen.
Mit letzter Kraft versuchte sie, sich zur Seite zu wälzen, doch ihre zitternden Arme versagten den Dienst. Schweiß perlte auf ihrem eingefallenen Gesicht und verschleierte ihr die Sicht.
Mit einem dumpfen Aufprall landete sie schließlich auf dem eiskalten Steinboden. Ein stechender Schmerz durchzog ihr Knie.
Plötzlich tauchten makellos glänzende Lederschuhe in ihrem Blickfeld auf.
"Wie widerlich! Das sind meine neuen Prada-Schuhe - jetzt sind sie versaut", klang es spöttisch und eiskalt von oben. Nora hob den Kopf und erkannte das Gesicht, mit dem sie einst unzählige Tage und Nächte verbracht hatte: Emily Finck, ihre engste Freundin, die sich nun zärtlich an Maxi Sacher schmiegte.
Und Maxi Sacher, ihr Ehemann, den sie ein ganzes Jahrzehnt geliebt hatte, blickte mit einer Mischung aus Abscheu und Gleichgültigkeit auf sie herab, als wäre sie nichts weiter als Unrat.
Als ihre Blicke aufeinandertrafen, loderte ein Funke unendlichen Hasses in Noras Augen auf. Sie krallte sich krampfhaft am Tischbein fest, bis die Fingernägel brachen und blutige Spuren zurückblieben. Mühsam rappelte sie sich in den Sitz, um nicht wie ein hilfloses Wrack zu wirken.
"Nora, sieh mich nicht so an", warf Maxi mit gerunzelter Stirn ein. "Ich mag es, wenn dein Blick voll Zuneigung auf mir ruht."
Plötzlich brach ein bitteres Lachen aus Nora hervor, das in schallendem Hohn erstarb. "Du... behandelst mich wie Dreck und erwartest trotzdem, dass ich dich noch liebe?"
"Ist Liebe nicht bedingungslos?", erwiderte Maxi mit eisiger Stimme. "Weil ich nichts für dich tue, liebst du mich nicht mehr? Nora, deine Liebe zu mir war am Ende nichts Besonderes."
"Nichts Besonderes..." Nora wiederholte die Worte wie in Trance und schloss die Augen. Nur sie allein wusste, wie sehr sie Maxi einst vergöttert hatte.
Sie hatten sich im Studium kennengelernt und waren ein Paar geworden. Seine Familie war mittellos. In all den Jahren hatte sie nie von ihm verlangt, auch nur einen Cent beizusteuern - weder für gemeinsame Mahlzeiten noch für Reisen. Sie übernahm alle Kosten, ja, sogar seinen gesamten Lebensunterhalt.
Sogar die Eigentumswohnung, die ihr Vater ihr geschenkt hatte, ließ sie auf seinen Namen umschreiben, nur weil er einmal angedeutet hatte, nicht als Schmarotzer dazustehen. Er holte seine Mutter und Schwester zu sich, und sie bemühte sich redlich, ihnen eine gute Schwiegertochter und Schwägerin zu sein - de facto wurde sie zur unbezahlten Haushälterin der Familie.
Nach dem Abschluss erhielt sie ein Angebot eines Global Players, doch Maxi beharrte darauf, sein eigenes Unternehmen zu gründen. Er wollte sich keinem Chef unterordnen.
Also kämpfte sie an seiner Seite. Um ihm einen Auftrag zu sichern, soff sie sich mit Kunden zu, bis sie eine Magenblutung erlitt. Sie arbeitete nächtelang an Konzepten, bis ihr Biorhythmus völlig zerrüttet war.
Einmal, während einer Dienstreise für eines seiner Projekte, verpasste sie sogar die Beerdigung ihres Vaters. Seinetwegen war sie zur Paria geworden, beschimpft als undankbare Tochter.
Auf diesem steinigen Weg ertrug sie unzählige Ressentiments, Hohn und Demütigungen. Am Ende stand sie völlig isoliert da.
Und wofür das alles?
Ihr Ehemann hatte sie mit ihrer besten Freundin betrogen, ihr gesamtes Vermögen an sich gerissen und sie in dieser Psychiatrie weggesperrt, wo man sie bis zur Unkenntlichkeit quälte...
"Hör auf, dich wie ein Opfer zu gebärden. Unterschreib die Aktienübertragung", fuhr Maxi ungerührt fort. "Danach kannst du daheim für Emily Entwürfe zeichnen. Ich verspreche dir, du wirst den Rest deines Lebens in Frieden verbringen."
In Frieden? Nora lachte hohl. Sie sah an sich herab - diese schmutzige, elende Gestalt - und musste einfach lachen.
Konnte man das noch ein "Leben in Frieden" nennen?
Und außerdem...
"Diese 20 % der Firmenanteile habe ich mir mit meinem eigenen Blut erarbeitet. Warum sollte ich sie dir einfach überlassen?" Noras Stimme war rau, aber voller Entschlossenheit. "Und warum sollte ich für Emily zeichnen, damit sie sich mit meinen Ideen schmücken kann? Warum?"
