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Kapitel 1

Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.

Ich lag in meinem leeren Bett, in eine Decke gewickelt, und starrte einfach an die Decke.

Vadim hat nicht angerufen. Er hat nicht geschrieben. Er ist nicht zurückgekommen.

Ich ertappte mich dabei, wie ich darauf wartete. Ich warte immer noch. Vor einer Sekunde schien es mir, als würde gleich die Eingangstür zuschlagen, als würde ich vertraute Schritte hören, als würde er leise ins Schlafzimmer kommen, sich neben mich legen, mich umarmen und sagen: „Verzeih mir. Ich musste einfach nachdenken. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

Aber die Tür schlug nicht zu.

Es waren keine Schritte zu hören.

Die Leere drückte von allen Seiten, schnürte mir die Brust ein und umhüllte mich wie dichter Nebel.

Ich weinte nicht. Ich konnte nicht einmal weinen. Es war, als wäre etwas in mir verbrannt und hätte nur graue, kalte Asche hinterlassen.

Vadim war gegangen.

Er hatte seinen Koffer gepackt, mich und die Mädchen aus seinem Leben gestrichen, sich eine andere Frau ausgesucht und war gegangen.

Das hätte wehtun müssen. Es hätte mich zerreißen, ersticken, innerlich zerfetzen müssen. Aber ich fühlte nichts. Nur Stille.

Plötzlich hörte ich leichte Schritte im Flur. Dann ein Rascheln.

Ich wusste, wer das war.

„Mama?“

Ich drehte den Kopf.

Kira stand barfuß in der Tür, mit zerzausten Zöpfen und verschlafenem Gesicht. Klein, warm, noch ganz schläfrig.

„Mama, wo ist Papa?“

Sie wusste es noch nicht.

Ich setzte mich langsam auf und streckte meine Arme nach ihr aus.

„Komm zu mir.“

Sie kam zu mir, kletterte auf das Bett und schmiegte sich an meine Brust.

„Papa ... ist weg.“

„Wohin?“

Ich schluckte.

„Auf Geschäftsreise, mein Schatz.“

Kira gähnte und rieb sich die Nase.

„Und wann kommt er zurück?“

Ich schloss die Augen.

„Später, mein Schatz. Geh jetzt schlafen, okay?“

Sie nickte, sprang vom Bett und schlurfte in ihr Zimmer.

Ich wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, und legte langsam mein Gesicht in meine Hände.

Wie sollte ich es ihnen sagen? Wie sollte ich ihnen erklären, dass ihr Vater einfach ... weg war?

Wie konnte man so etwas überhaupt erklären?

Wie viel Zeit hatte ich, bevor sie anfangen würden, Fragen zu stellen? Einen Tag? Zwei? Eine Woche?

Ich stand auf und machte das Licht im Badezimmer an.

Im Spiegel blickte mich eine fremde Frau an.

Ihre Augen waren erloschen, darunter lagen dunkle Ringe, ihr Haar war zerzaust. Ihr Gesicht war blass, als wäre alles Leben aus ihr gewichen.

Ich hob meine Hand und fuhr mir mit den Fingern über die Wange.

Wo war die glückliche Alena geblieben?

Wann war alles zerbrochen?

Vadim war nie so gewesen.

Niemals.

Ich erinnerte mich daran, wie er erfahren hatte, dass ich keine Kinder mehr bekommen konnte.

Ich erinnere mich, wie ich mich im Badezimmer eingeschlossen hatte, auf dem Boden saß, mich zusammenkauerte und vor Tränen kaum atmen konnte.

Ich erinnere mich, wie er hereinkam, sich neben mich setzte und mich umarmte.

„Das Wichtigste ist, dass ich dich habe“, sagte er damals. „Nur das ist wichtig.“

Und ich glaubte ihm.

Ich glaubte ihm.

Und jetzt...

Ich drehte das kalte Wasser auf, schöpfte es in meine Handflächen und wusch mir das Gesicht.

Es ist Zeit.

Heute ist mein freier Tag, das heißt, ich muss so tun, als wäre alles in Ordnung. Frühstück kochen, den Mädchen zulächeln, sagen, dass Papa nur für kurze Zeit weg ist.

Und dann?

Und dann werde ich es irgendwie schaffen.

Ich ging in die Küche und stellte den Wasserkocher an.

Ich nahm eine Tasse.

Dann noch eine.

Erst dann wurde mir klar, dass ich das automatisch tat.

Die zweite Tasse stand immer vor seinem Platz.

Ich starrte sie an, bis das Wasser darin abgekühlt war.

In meinem Kopf schoss mir wieder der Gedanke durch: „Er hat sich nicht einmal umgedreht.“

Ich nahm die Tasse abrupt und stellte sie in den Schrank.

Als ob das etwas ändern könnte.

Als ob sich überhaupt etwas ändern ließe.

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