Kapitel 1.1
***
Ich bereitete das Frühstück zu. Genauer gesagt, ich versuchte es.
Mein Blick fiel auf Vadims leeren Stuhl, auf seinen Teller im Schrank, auf die Tasse, die ich gestern schon weggeräumt hatte, aber heute aus Gewohnheit wieder herausgeholt hatte.
Meine Hände zitterten.
Ich tat so, als wäre alles in Ordnung. Man muss ja irgendwie weiterleben.
Kira und Nadja schauten seit dem Morgen Zeichentrickfilme und stellten Gott sei Dank keine Fragen. Aber sie würden bestimmt anfangen. Wenn nicht heute, dann morgen.
Wie sollte ich den Kindern erklären, dass ihr Vater sich für eine andere Familie entschieden hatte?
Ein lautes Klingeln an der Tür durchbrach die morgendliche Stille.
Ich zuckte zusammen.
Ich öffnete die Tür.
Auf der Schwelle stand meine Mutter.
Warm, strahlend, mit einem freundlichen Lächeln, wie immer. In der einen Hand hielt sie eine Tasche, in der anderen einen Behälter mit Piroggen.
„Alenuschka, meine Liebe, hallo!“, sagte sie, kam auf mich zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ich habe euch Piroggen gebacken. Vadims Lieblingspiroggen, mit Fleisch. Was stehst du denn da, hilf deiner Mutter doch rein!
Ich erstarrte.
Vadims Lieblingspiroggen.
„Tochterchen, was ist los mit dir? Du bist irgendwie blass ...
Ich kam nicht dazu, etwas zu sagen, sie ging schon in die Küche, stellte den Behälter auf den Tisch und sah sich um.
„Wo ist Wadik?“, fragte sie und schaute in den Flur. „Wadik, mein lieber Schwiegersohn, wo bist du? Komm und probier, solange sie noch warm sind!“
Ich ballte meine Hände zu Fäusten.
„Mama...“
Sie drehte sich um.
„Was ist, Sonnenschein?“
Ich schluckte.
„Wadim wird nicht mehr da sein.“
„Was?“ Sie runzelte die Stirn, dann lachte sie. „Was meinst du mit ‚nicht mehr da sein‘? Machst du Witze?“
„Er ist weg, Mama.“
Meine Stimme zitterte.
„Wohin ist er gegangen?“
„Er ist weg, Mama. Für immer.“
Sie sah mich einige Sekunden lang an, dann schüttelte sie den Kopf.
„Red keinen Unsinn. Das ist Wadik. Er liebt dich schon sein ganzes Leben lang. Seit der ersten Klasse ist er dir hinterhergelaufen, er konnte dich nicht sattsehen!“
Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen.
„Mama, er hat uns verlassen ...“
„Hör auf! Vielleicht hast du etwas falsch verstanden?“
„Er hat seine Sachen gepackt und ist weggegangen!“
Mama erstarrte.
„Alena... nein...“
„Ja, Mama. Er hat gesagt, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann, dass er einen Sohn will. Und... und...“ Ich zitterte. „Und er hat eine andere...“
Es war, als wäre ein Damm gebrochen.
Ich brach in Tränen aus.
Ich warf mich meiner Mutter in die Arme, klammerte mich an sie, als könne nur sie mich retten.
„Mama, was soll ich tun?! Wie soll ich ohne ihn leben?!“
Sie streichelt mir den Rücken, aber ich spüre, wie auch ihre Hände zittern.
„Nein... Nein...“, flüstert sie und schüttelt den Kopf. „Wadik hätte das nicht tun können. Das hätte er nicht tun können, mein Kind...“
Aber auch ihre Stimme bricht.
Ich schluchze.
„Doch, Mama. Er ist weg.“
„Das kann nicht wahr sein, das muss ein Traum sein ...“
„Das habe ich auch gedacht ...“
Mama hält sich die Hand vor den Mund.
Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Und jetzt weine nicht mehr nur ich.
Sie auch.
Wir stehen in der Küche, umarmen uns und weinen laut.
Zum Glück sind die Mädchen im Kinderzimmer und hören nichts davon.
***
Wir saßen lange in der Küche.
Ich schluchzte an Mamas Schulter, während sie mir über den Kopf strich und leise immer wieder dieselben Worte wiederholte:
„Das kann nicht sein.“
„Nein, Alena, das konnte er nicht ...“
Aber er konnte es.
Er ist weg.
Mama atmete schwer aus und umarmte mich fester.
„Wie kann das sein... Mein Gott, wie kann das sein...“
Ich hörte, wie ihr Atem stockte, wie er unregelmäßig wurde. Auch sie glaubt es nicht. Auch ihr tut es weh.
Denn für sie war Wadik immer mehr als nur ihr Schwiegersohn.
Für sie war er ein Sohn.
Ich schloss die Augen.
Ich erinnere mich, wie er sechzehn war. Wie er mit seinen Eltern vom Landhaus zurückkam. Wie ihr Auto einen Unfall hatte.
An einem Tag verlor Vadim alle.
Damals verstand ich nichts. Ich war auch sechzehn, und in meiner Welt konnte so etwas einfach nicht passieren.
Aber es passierte.
Ich erinnere mich, wie er in der Tür unserer Wohnung stand, so verloren, mit gesenkten Schultern und leerem Blick.
Ich erinnere mich, wie meine Mutter ihn an sich drückte und ihm wie einem kleinen Kind über den Kopf strich.
„Jetzt gehörst du zu uns, Wadik“, sagte sie damals.
Er schwieg.
Aber er umarmte sie als Antwort.
Von diesem Tag an wurde meine Mutter für ihn wie eine zweite Mutter. Und er wurde für sie wie der Sohn, den sie nie hatte.
Sie backte ihm Kuchen, achtete darauf, dass er warm angezogen war, und sorgte dafür, dass er rechtzeitig aß.
Als wir heirateten, weinte sie, als würde sie gleich zwei Kinder verheiraten.
Und jetzt hat er nicht nur mich betrogen.
Er hat auch sie betrogen.
Mama lehnte sich langsam zurück und sah mich mit geröteten Augen an.
„Er wird zurückkommen“, sagte sie plötzlich mit brüchiger Stimme.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, Mama.“
„Er wird zurückkommen“, wiederholte sie hartnäckig. „Das konnte er nicht einfach so tun. Das konnte er nicht.“
Sie glaubt es immer noch nicht.
Sie weigert sich, es zu glauben.
Ich verstehe das.
Aber ich kenne die Wahrheit.
Er wird nicht zurückkommen.
