

Kapitel 1
Kapitel 1
Amelia Carter hatte den ganzen Tag damit verbracht, sicherzustellen, dass alles perfekt war.
Die Tischreservierung, das Geschenk und die kurze Rede, die sie im Kopf geprobt hatte. Sie wollte, dass dieser Abend etwas Besonderes wurde. Es war ihr zwanzigster Hochzeitstag, ein Meilenstein, der Liebe, Beständigkeit und Hingabe symbolisierte.
Sie hatte ihre Träume, ihre Ambitionen und sogar ihre Jugend geopfert, um ein Haus zu bauen, ihre Kinder großzuziehen und die Karriere ihres Mannes zu unterstützen. Finanzielle Schwierigkeiten, schlaflose Nächte mit kranken Babys und jahrelange Pflichterfüllung – all das hatte sie ertragen. Aber sie glaubte, es war es wert. Denn Liebe bedeutet Opfer, nicht wahr?
Sie sah noch einmal auf die Uhr. 20:30 Uhr.
Richard war zu spät.
Ihre Finger klammerten sich an die Tischkante und ihr Magen verkrampfte sich vor Unbehagen. Sie hatte ihm zuvor eine SMS geschrieben und ihn an ihre Pläne für das Abendessen erinnert. Er hatte nur kurz geantwortet: „Beschäftigt. Werde versuchen, es zu schaffen.“
Sie sagte sich, dass er kommen würde. Er musste.
Das Restaurant war elegant und schwach beleuchtet. Der sanfte Schein der Kerzen spiegelte sich in den polierten Weingläsern. Ein Kellner stand in der Nähe und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu.
Sie lächelte höflich und verbarg das wachsende Unbehagen, das ihr den Rücken hinaufkroch.
Gerade als sie wieder nach ihrem Telefon greifen wollte, sah sie ihn.
Erleichterung durchströmte sie, doch dann bemerkte sie, dass er nicht allein war.
Ihr stockte der Atem, als Richard mit einer Frau an seiner Seite auf sie zukam.
Amelias Welt geriet aus den Fugen.
Die Frau war jung. Groß. Ihr goldenes Haar umrahmte ihre zarten Gesichtszüge. Sie trug ein rotes Kleid, das sich an jede Kurve schmiegte und das Amelia seit Jahren nicht mehr getragen hatte.
Die Leute drehten sich um, als sie vorbeiging. Die Frau hatte sich unter Richards Arm geschlungen, ihren Körper eng an seinen gepresst und ihre Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen.
Amelia spürte, wie ihr Puls in den Ohren pochte.
Das konnte nicht wahr sein.
Richard blieb mit undurchschaubarem Gesichtsausdruck vor ihrem Tisch stehen.
„Amelia“, sagte er, als würde er eine Kollegin begrüßen, nicht seine Frau, mit der er seit fast zwei Jahrzehnten verheiratet war. „Das ist Charlotte.“
Ihre Finger zitterten, als sie die Tischkante umklammerte. Sie blickte ihm forschend ins Gesicht und wartete auf die Pointe, die Erklärung.
Es kam nicht.
Charlotte streckte ihre manikürte Hand aus, ihre Stimme klang leicht. „Es ist so schön, Sie endlich kennenzulernen.“
Endlich?
Amelias Brust zog sich zusammen.
„Was machst du?“, flüsterte sie, doch ihre Stimme war kaum zu hören über dem leisen Klappern des Bestecks und den gedämpften Gesprächen um sie herum.
Richard atmete aus, als wäre er derjenige, der belastet war. „Ich wollte das richtig machen.“
„Was richtig machen?“
Sein Blick blieb kalt und distanziert. „Charlotte und ich sind seit zwei Jahren zusammen.“
Zwei Jahre.
Amelias Sicht verschwamm für einen Moment.
Zwei Jahre. Während sie auf seine Heimkehr gewartet, ihre Kinder großgezogen, seine Erfolge gefeiert und seine Misserfolge verkraftet hatte, war er bei ihr gewesen.
Ihre Kehle fühlte sich wund an. „Richard, heute ist unser Jahrestag.“
„Ich weiß.“ Sein Ton war gleichgültig und distanziert. „Deshalb dachte ich, es wäre der perfekte Zeitpunkt, um es dir zu sagen.“
Ein langsames, schleichendes Entsetzen machte sich in ihren Knochen breit.
Der perfekte Zeitpunkt.
Kein Unfall. Kein Fehler im betrunkenen Zustand. Eine bewusste und grausame Entscheidung.
Amelias Finger krümmten sich in ihrem Schoß, ihre Nägel gruben sich in ihre Handflächen, damit sie nicht vor ihnen zusammenbrach.
„Du verlässt mich“, sagte sie mit unheimlich ruhiger Stimme.
Richard zog einen Stuhl heran und setzte sich, als wäre dies ein zwangloses Abendessen und nicht die Zerstörung ihres ganzen Lebens. Charlotte setzte sich neben ihn, ihre Hand ruhte auf seiner.
Er zögerte nicht einmal. „Ja.“
Ihr blieb der Atem im Hals stecken.
„Warum tust du das?“ Ihre Stimme überschlug sich.
„Weil ich sie liebe“, sagte Richard, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Charlotte lächelte und strich mit den Fingern über seine Knöchel. „Wir wollten das nicht, aber manchmal findet einen die Liebe, wenn man es am wenigsten erwartet.“
Amelia schluckte die Galle hinunter, die in ihrer Kehle aufstieg.
„Du machst das wirklich?“, flüsterte sie.
Richard lehnte sich zurück und musterte sie mit einem ausdruckslosen Blick. „Es ist schon erledigt. Deine Sachen sind gepackt. Das Haus gehört jetzt Charlotte.“
Eine schneidende, erstickende Stille breitete sich zwischen ihnen aus.
Amelia konnte sich nicht bewegen. Sie konnte nicht atmen.
„Du hast meine Sachen gepackt?“ Die Worte kamen kaum über ihre Lippen.
Richard nickte völlig ungerührt. „Der Fahrer ist draußen. Er bringt dich, wohin du willst.“
Ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft.
Sie war nicht einmal ein Gespräch wert. Eine Warnung. Nichts.
Der Verrat saß so tief, dass er unerträglich war.
Dann vibrierte ihr Telefon. Eine Nachricht.
„Mama, bitte mach keine Szene. Papa hat es verdient, glücklich zu sein.“
Julia. Ihre älteste Tochter.
Ihre Finger zitterten, als sie die Worte noch einmal las.
Eine weitere Nachricht erschien. „Wir haben darüber gesprochen. Wir freuen uns für Papa. Bitte mach es ihm nicht so schwer.“
Ethan.
Tränen brannten in ihren Augen.
Sie scrollte mit klopfendem Herzen. Mia. Ihre Jüngste.
„Charlotte ist wirklich nett. Vielleicht solltest du es einfach sein lassen.“
Die Wände des Restaurants verschwammen.
Ihre Hände wurden taub.
Ihre Kinder hatten sich auf seine Seite gestellt.
Ihr eigenes Fleisch und Blut, die sie getragen, aufgezogen und genährt hatte, hatten sie genauso leichtfertig weggeworfen wie Richard.
Etwas in ihr zerbrach.
Sie blickte auf und sah Richard zum ersten Mal so, wie er wirklich war. Nicht der Mann, den sie geliebt hatte. Nicht der Mann, für den sie Opfer gebracht hatte.
Ein Fremder.
Ein selbstsüchtiger, skrupelloser Mann, der ihr ohne zu zögern alles genommen hatte.
Ihr Blick wanderte zu Charlotte, die sie mit demselben amüsierten, mitleidigen Lächeln beobachtete.
„Amelia“, sagte Richard und sah auf die Uhr. „Lass uns das nicht in die Länge ziehen. Der Fahrer wartet.“
Etwas in ihr zerbrach.
Sie stand langsam auf, ihr Stuhl kratzte über den Boden. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte unter der Last des Verrats, doch sie weigerte sich, hier zusammenzubrechen.
Sie drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort weg.
Richard rief ihr nach, aber sie hörte nicht auf.
Nicht, als sie in die kalte Nacht hinaustrat.
Nicht, als sie das wartende Auto erreichte.
Und auch nicht, als sie auf dem Rücksitz Platz nahm und ihre Hände im Schoß zu Fäusten ballte.
Der Fahrer drehte sich um und fragte: „Wohin, Madam?“
Sie hatte kein Zuhause. Keinen Mann. Keine Kinder.
Sie hatte nichts.
Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinunter.
„Fahr los“, flüsterte sie.
Als das Auto losfuhr, starrte Amelia auf die Lichter der Stadt.
Ein Gedanke brannte sich durch die Qual, die sie verzehrte.
Eines Tages würden sie es bereuen.
Und wenn dieser Tag käme, würde sie nicht diejenige sein, die betteln würde.

