Bibliothek
Deutsch
Kapitel
Einstellungen

Kapitel 2: Wer ist dieser Mann?

Das Leben im Rudel ihres Vaters kam Hazel wie eine ferne Erinnerung vor. Sie erinnerte sich immer noch an die wundervollen Zeiten, die sie mit ihrem Vater verbracht und die Berge durchquert hatte, und das Bild seiner überragenden Präsenz blieb in ihrem Gedächtnis eingebrannt, auch wenn sie diesen liebevollen Mann nie wieder sehen konnte.

Als ihre Großmutter das Auto am Rande des Territoriums des Rudels parkte, war Hazel von der unheimlichen Stille, die sie umgab, überrascht. Es war, als ob niemand mehr in dieser Gegend wohnte. Wo waren denn alle hin?

Das war definitiv nicht richtig! Obwohl sie seit einem Jahr nicht mehr hier gewesen war, erinnerte sich Hazel daran, wie belebt die Straßen früher gewesen waren.

Während sie im Auto saß, hörte Hazel das Heulen der Wölfe aus dem Wald, deren gespenstische Schreie durch die Luft zerrissen. Sie tauschte einen Blick mit ihrer Großmutter aus, und gemeinsam stiegen sie aus dem Auto aus, bereit, tiefer in den Wald vorzudringen.

Je weiter sie kamen, desto beunruhigender empfand Hazel die Atmosphäre. Der Geruch von Blut hing in der Luft, so dass sie sich die Nase zuhielt, weil er unerträglich war.

"Wer seid ihr, und was macht ihr hier?" Plötzlich tauchte ein stämmiger Mann vor Hazel auf. Er musterte sie und ihre Großmutter mit einem bösartigen Blick. Hazel war sich sicher, dass sie diesen Mann noch nie zuvor gesehen hatte, aber sie konnte erkennen, dass er ein Werwolf war. Das Heulen aus dem Wald ging weiter, und sie wusste, dass sie herausfinden musste, was hier vor sich ging.

"Mein Bruder wohnt hier; er ist ein Beta", antwortete Hazel wahrheitsgemäß, überzeugt davon, dass sie hier niemanden erkannte.

"Welcher Beta?" Der Blick des Mannes wurde eiskalt, und es schien, dass ein falsches Wort von Hazel dazu führen konnte, dass ihr der Kopf abgerissen wurde.

Die Worte des Mannes machten Hazel stutzig. Was meinte er mit "welcher Beta"? Konnte es sein, dass es außer ihrem Bruder Theo noch andere Betas in diesem Rudel gab? Alles kam ihr wie ein Rätsel vor, und sie fragte sich, ob die Menschen, die sie einst gekannt hatte, noch da waren.

"Beta Theo", sagte Hazel dringend, denn sie musste wissen, ob es Theo in seiner Position im Rudel gut ging.

Ob es nun ein Trick ihrer Einbildung war oder nicht, das Verhalten des Mannes änderte sich, als er Theos Namen hörte. Er entspannte sich ein wenig, und ein Teil seiner Feindseligkeit schien sich zu verflüchtigen.

"Gehen Sie in diese Richtung", sagte der Mann, und das war genau der Weg, den Hazel gehen wollte.

Hazel nickte und bedankte sich bei dem Mann, bevor sie aus seinem Blickfeld verschwand.

"Das kommt mir nicht richtig vor", sagte ihre Großmutter stirnrunzelnd, während sie Hazel beobachtete. Sie hatte mehr Lebenserfahrung als Hazel und konnte spüren, dass etwas nicht stimmte.

"Auf jeden Fall", sagte Hazel und runzelte die Stirn.

Der Mann schien Theo zu erkennen, aber sie war ihm noch nie begegnet. Was um alles in der Welt war hier los?

"Hazel, ich kann niemanden riechen, den du kennst", meldete sich plötzlich Rita, Hazels Wölfin, zu Wort. Auch sie hatte die unheimliche Atmosphäre gespürt.

"Rita, kannst du Theos Geruch riechen?" Hazel war voller Zweifel, und sie wusste nicht, ob Theo im Wald sein würde, aber sie nahm auf jeden Fall einen schweren Blutgeruch wahr. Sie hoffte nur, dass es nicht das von Theo war.

"Ich kann nicht", brüllte Rita. Sie konnte nur die Anwesenheit eines mächtigen Wolfes spüren, aber sie wusste nicht, wer es war.

Als sie weitergingen, sank Hazels Herz. Sie begegnete immer mehr unbekannten Gesichtern und erkannte kaum noch jemanden, dem sie begegnete.

Hazel war völlig verwirrt; sie musste so schnell wie möglich zu Theo.

Fünf Minuten später erreichten Hazel und ihre Großmutter die Tiefen des Waldes. Hazel sah Blutflecken auf dem Boden und die Überreste von Wölfen. Hazel runzelte die Stirn und befürchtete, dass Theo etwas zugestoßen war. Das war jenseits ihrer Vorstellungskraft.

Im nächsten Moment entdeckte Hazel eine Gruppe von Männern in zerschlissenen Jogginghosen, die aus der Nähe kamen. Sie hatten alle einen grimmigen Gesichtsausdruck und trugen unterschiedlich große Wunden, als hätten sie gerade einen Kampf hinter sich. Was in aller Welt war geschehen?

Hazel und ihre Großmutter gingen durch die Menge und entdeckten Theo, der weiter vorne auf einem Baumstumpf saß. Er sah erschöpft aus, und sein Gesichtsausdruck wirkte gequält, als hätte er unmenschliches Leid ertragen müssen, doch seine Kleidung war unversehrt.

"Theo." Hazel rief Theos Namen und winkte ihm zu.

Zusammen mit ihrer Großmutter eilten sie so schnell sie konnten an Theos Seite. Er sah schrecklich aus.

Wie hatte sich Theo in nur einem Jahr so verschlechtern können?

"Hazel, du bist wieder da", sagte er schwach.

"Großmutter, geht es dir gut?" Theo brachte ein schwaches Lächeln zustande, aber es schien, als hätte er die Fähigkeit verloren, aufrichtig zu lächeln.

Ihre Großmutter umarmte Theo, denn er sah alles andere als gesund aus.

"Theo, was ist hier passiert?" Hazels Blick wanderte zu den Blutflecken und den Überresten des Wolfs, überzeugt davon, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Bevor Theo Hazels Frage beantworten konnte, bemerkte sie einen Mann, der aus dem tieferen Teil des Waldes kam. Sein Gesicht war mit getrocknetem Blut bedeckt, seine Muskeln sahen aus, als könnten sie jemanden mit einem einzigen Schlag umhauen. Die Menschen um ihn herum behandelten ihn mit äußerster Ehrfurcht, und seine Reaktion ließ darauf schließen, dass es sich um ein gewöhnliches Ereignis handelte.

Hazel war sich sicher, dass sie diesen Mann noch nie zuvor gesehen hatte, denn er war der charismatischste Mann, den sie je gesehen hatte. Hazel spürte, wie ihr Herz ungewöhnlich schnell schlug.

Hazels Blick folgte dem Mann, als er sich ihr näherte. Er hatte kurzes schwarzes Haar, gebräunte Haut, schmale, volle Lippen, Augen so dunkel und tief wie Honig, gut ausgeprägte Gesichtszüge, einen großen und schlanken, aber nicht schroffen Körper, wie eine griechische Skulptur.

Hazel versuchte, das Verlangen in ihren Augen zu kontrollieren. Vielleicht war ihr Blick zu intensiv, und der Mann schaute in ihre Richtung, so dass Hazel das Gefühl hatte, der Atem würde ihr stocken.

"Wer ist dieser Mann?" fragte Hazel.

Theo erkannte, wen Hazel meinte, aber seine Lippen zogen sich zu einer dünnen Linie zusammen, um anzuzeigen, dass er hier nicht mehr sagen wollte.

"Lass uns darüber reden, wenn wir zurück sind", sagte Theo und hielt den Kopf gesenkt.

Hazel und ihre Großmutter tauschten einen Blick aus, dann richteten sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Doch die Augen des Mannes blieben auf Hazel gerichtet, als würde er seine Beute beobachten. Sein Blick strahlte Ehrgeiz und Verlangen aus, aber sein Gesicht war eiskalt.

Erst als Hazel den Wald verlassen hatte, ging er schnell weiter.

Hazel und ihre Großmutter folgten Theo zurück zu dem Haus, in dem sie einst gelebt hatten.

Die Großmutter fuhr mit dem Auto in die Einfahrt von Hazels ehemaligem Haus. Die Straße war gespenstisch still, ohne jedes Lebenszeichen. Die baufälligen Häuser, die verblassten Mauern und die eingestürzten Türen ließen sie eher wie eine Geisterstadt aussehen.

Nein, es war sogar noch einsamer als eine Geisterstadt!

Hazel verweilte vor ihrem alten Haus, unsicher, welche Gefühle sie beim Anblick ihrer verstorbenen Mutter empfinden würde.

Aber ihre Großmutter hatte bereits die Tür geöffnet und war hereingekommen, was Hazels Gedanken unterbrach. Theo folgte ihr.

Als Hazel das Haus betrat, wurde sie von flackerndem Licht, einer mit Müll gefüllten Küche und zerbrochenen Fenstern begrüßt. Wie war es dazu gekommen?

Sie sah sich um, fand aber keine Anzeichen für ihre verstorbene Mutter.

Theo lag auf der Couch, nicht mehr der lebhafte Mensch, der er einmal war. Er hatte sich nicht einmal rasiert.

"Hazel..." Theos Augen wanderten an ihrem Körper auf und ab, als ob er die Veränderungen bemerkte, die sie im letzten Jahr erfahren hatte. Ihre makellose, helle Haut hatte einen Hauch von Rosa, ihr langes, leicht gelocktes kastanienbraunes Haar, die langen, geschwungenen Wimpern und die strahlend blauen Augen, die wie klares Meerwasser aussahen, trugen zu ihrem auffälligen Aussehen bei. Ihr Blick war entschlossen, und sie hatte eine zierliche Statur ohne Übergewicht.

"Hast du dich mit deinem Wolf verbunden?" Theo blitzte plötzlich ein Ausdruck des Erstaunens in seinen Augen auf.

"Ja, Bruder", lächelte Hazel, obwohl jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt war, um darüber zu sprechen. Sie wollte Theo trotzdem an ihrer Freude teilhaben lassen.

"Wie ist ihr Name?" erkundigte sich Theo.

"Sie heißt Rita", teilte Hazel den Namen ihres Wolfes mit.

"Herzlichen Glückwunsch, Hazel", nickte Theo. Es schien, als ob es Hazel im Haus ihrer Großmutter gut ging. Zum Glück war sie nicht hier, denn sie hätte das alles nicht verkraften können.

"Danke, Theo. Aber geht es dir gut?" Hazel umarmte ihn sanft, besorgt über seinen Zustand, der nicht gut aussah.

Theo seufzte und setzte sich wieder auf die Couch, er sah sehr müde und etwas entmutigt aus. Ihre Großmutter stand in der Nähe und legte ihre Hand auf Theos Schulter.

"Theo, wo ist sie?" Hazel wollte nicht einmal ihre Mutter anrufen.

"Mutter ist eingeäschert worden", damit hatte sich Theo völlig abgefunden, denn es war schon eine Woche her, dass ihre Mutter gestorben war. Nach den neuen Regeln mussten Werwölfe innerhalb einer Woche nach ihrem Tod eingeäschert werden.

"Die Überreste und Blutflecken, die du gerade gesehen hast, stammen von denen, die bereits verstorben sind", erklärte Theo, dessen Gesicht keinen übermäßigen Ausdruck mehr hatte.

Er war gefühllos geworden.

"Was?" rief Hazel aus. Wie können so viele Menschen gestorben sein?

"Hazel, dem Rudel ist etwas zugestoßen", sagte Theo mit ernster Miene.

Als Hazel Theos Worte hörte, erinnerte sie sich sofort an den Mann, dem sie im Wald begegnet war, und sie fragte sich, ob er etwas mit all dem zu tun hatte. Wer war er?

Laden Sie die App herunter, um die Belohnung zu erhalten
Scannen Sie den QR-Code, um die Hinovel-App herunterzuladen.