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Liebe für Gerechtigkeit

59.0K · Vollendet
Lyne Pinet
30
Kapitel
28
Lesevolumen
9.0
Bewertungen

Zusammenfassung

Zwei Welten. Ein tragisches Geheimnis. Kann die Liebe die größte Bedrohung besiegen? Der dritte Band der Stewart-Brüder-Saga erzählt die dramatische Geschichte von Jimmy Stewart, einem beschaulichen Polizisten aus Montana, und Jane Clark, einer erfolgreichen Anwältin aus New York. Ihre Seelenverwandtschaft ist sofort spürbar, doch das Schicksal hält eine herzzerreißende Wendung bereit, die ihr Leben für immer verändert. Als Jane in die größte Bedrohung ihrer Karriere gerät, muss Jimmy in ihre Welt eintauchen. Wird er rechtzeitig sein, um sie zu retten, und kann die zarte Flamme ihrer leidenschaftlichen Liebe diesen Sturm überstehen?

One-Night-StandschwangerMafiaLiebe18+modern

Kapitel 1: Die Tränen des Engels

Kapitel 1:

Die Tränen des Engels

Hamilton, Montana, Vereinigte Staaten von Amerika

Familienfriedhof Stewart

12. März 2035

Jane Clark

Der Familienfriedhof Stewart trug in diesem bergigen März Trauer um die Schneeschmelze. Der Schnee, einst weiß und gleichmäßig, hatte sich in schmutzigen Fetzen zurückgezogen und einen schlammigen und kalten Boden freigelegt, übersät mit Flecken gelblichen Grases, das vom Gewicht des Winters plattgedrückt war. Die Luft, von durchdringender Traurigkeit, war erfüllt von der herben Feuchtigkeit des auftauenden Bodens und dem drückenden Schweigen vergessener Orte.

Die Grabsteine, mit strenger Regelmäßigkeit aufgereiht, schienen unter dem tiefen, grauen Himmel zu frösteln. Der einst glänzende Marmor und Granit waren von den Witterungseinflüssen matt geworden und mit einer feinen Schicht grünlichen Mooses bedeckt, wie vom Lauf der Zeit getrocknete Tränen. Die eingravierten Namen, stumme Zeugen erloschener Leben, verschmolzen mit dem Stein und drohten unter der unerbittlichen Erosion zu verschwinden.

Der kleine Marmorengel, der über dem Grab des verlorenen Kindes wachte, hatte ein Gesicht, über das kalte Wassertropfen liefen, als ob er den frühen Verlust beweinte. Seine ausgebreiteten Flügel schienen angesichts der Härte dieses späten Winters machtlos zu sein, unfähig, das winzige Stück Erde zu wärmen.

Keine frische Blume durchbrach die Monotonie der dunklen Farbtöne. Nur einige verwelkte Kränze, Überreste vergangener Besuche, lagen traurig am Fuße der Steine, ihre verblichenen Bänder schlugen matt im eisigen Wind. Sie erinnerten an die Zerbrechlichkeit der Erinnerung, die langsame Erosion der Erinnerung angesichts der Gleichgültigkeit der Zeit.

Der Wind, der zwischen den kahlen Bäumen, die den Friedhof umgaben, stöhnte, trug melancholische Murmeln. Es klang wie das Seufzen der begrabenen Seelen, die die lange Wartezeit auf den Frühling beklagten, die Einsamkeit ihrer ewigen Ruhe unter diesem unbarmherzigen Himmel.

Die Schatten wurden länger und gespenstischer, je weiter der Tag schwand, und hüllten den Friedhof in eine noch trübere Atmosphäre. Die Stille wurde nur durch das ferne Krächzen einer Krähe unterbrochen, ein Vorzeichen für das Andauern des Winters, für die lange Nacht, die bevorstand.

In diesem trostlosen März war der Familienfriedhof Stewart kein Ort des Friedens, sondern eine ergreifende Mahnung an die Zerbrechlichkeit des Lebens, an den anhaltenden Schmerz des Verlustes. Der gefrorene Boden schien die Geheimnisse und Tränen festzuhalten und wartete verzweifelt auf die Wärme der Sonne, um sie freizusetzen, um dem Leben zu ermöglichen, selbst auf den Gräbern derer, die nicht mehr waren, neu zu entstehen. Es war ein Ort schmerzhaften Wartens, wo die Erinnerung schwerer wog als das Versprechen eines neuen Frühlings.

Der Wind, der die herben Düfte von Kiefern und feuchter Erde trug, drang heimtückisch unter den Kragen meines Wollmantels. Auf den Knien, der Körper von stillen Schluchzern geschüttelt, spürte ich ihn nicht. Meine Augen, gewöhnlich von einem lebhaften, funkelnden und intelligenten Blau, waren in einem Ozean der Traurigkeit ertrunken und auf den kleinen, makellos weißen Grabstein gerichtet. Ein molliger Engel mit ausgebreiteten Flügeln in einer Geste ewigen Schutzes schien über das winzige Stück Erde zu wachen. Daneben der Grabstein ihrer Großmutter väterlicherseits, Anna, die vor vielen Jahren zu jung an den Folgen eines fulminanten Krebses gestorben war, wachte über den kleinen Engel.

Meine zitternden Finger streichelten die glatte und kalte Oberfläche des Marmors. Nur eine Inschrift, James Junior Stewart, zu früh gegangen, und ein Datum, mit chirurgischer Präzision eingraviert, die in krassem Gegensatz zum Chaos meiner Erinnerungen stand: 12. März 2025.

Ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln schien über den winzigen Erdhügel zu wachen, in den die Worte eingegraben waren, die ihr bei jedem Lesen das Herz zerrissen.

Ein rauer Schluchzer entfuhr meiner Kehle und durchbrach die Stille des Familienfriedhofs Stewart. Die Tränen, heiß und bitter, gruben neue Furchen in meine bereits vom Frost geröteten Wangen. Ich erinnere mich an alles mit schmerzlicher Klarheit: die Sanftheit der ersten Bewegungen von James Junior in meinem Bauch, die spürbare Aufregung bei der Namenswahl, meine Träume, die wir gewoben hatten. All das, in einem Bruchteil einer Sekunde ausgelöscht.

Zehn Jahre. Zehn lange Jahre waren seit jenem schicksalhaften Tag vergangen, als eine Kugel, die dem Mann galt, den ich mehr als alles liebte, das Leben unseres ungeborenen Kindes auslöschte. Zehn Jahre, in denen das ohrenbetäubende Schweigen der Abwesenheit in jedem Winkel meiner Existenz widerhallte. Der Tag, an dem meine Welt zerbrach. Der Tag, an dem mir das Leben, das ich in mir trug, unser kleines Leben, unser Versprechen für die Zukunft, mit unvorstellbarer Brutalität entrissen wurde.

Ein schmerzhafter Schluchzer entfuhr meiner Kehle. Acht Monate. Acht Monate gehegter Träume, imaginierter Strampelanzüge, im Dunkel der Nacht geflüsterter Schlaflieder. Acht Monate einer wachsenden Liebe, eine einzige Nacht mit Jimmy geteilt. Jimmy… Mein Herz zog sich bei der Erwähnung seines Namens noch stärker zusammen. Er war da, nicht weit entfernt, seine massive und beruhigende Gestalt stand einige Meter entfernt und bot mir einen heiligen Raum der Trauer. Ich spürte seine Anwesenheit wie einen Anker in dem Sturm, der meine Seele verwüstete.

Das Bild dieses alptraumhaften Nachmittags überlagerte die friedliche Szene vor mir. Der dunkle und feuchte Keller, und die Angst, die bedrohlichen Stimmen, die um mich herum hallten. Ich war entführt worden, gefangen gehalten von einer rivalisierenden Mafiafamilie der meiner Mutter, den Genovese. Sie wollten meine Familie treffen, mich als Druckmittel in einem blutigen Revierkrieg benutzen.

Ich erinnerte mich… Die Bilder, von erschreckender Klarheit, zogen unaufhörlich durch meinen Geist, wie ein Horrorfilm, den ich dazu verdammt war, in einer Schleife anzusehen. Meine New Yorker Wohnung, meine raffinierte Oase des Friedens, verwandelt in einen Käfig von Männern mit harten Gesichtern und leeren Blicken. Die panische Angst, die mich überkam, als sie mich fesselten, knebelten und auf die Rückbank eines unauffälligen Autos warfen. Die lange, quälende Fahrt, die Stöße, das undeutliche Gemurmel. Und dann der Keller. Dunkel, feucht, der herbe Geruch von Schimmel mit dem charakteristischen metallischen Geruch von Blut und Staub, der in der kalten Luft stand. Die Tage, die sich zu einer Ewigkeit des Schreckens dehnten, unterbrochen von spärlichen Mahlzeiten und bedrohlichem Schweigen.

Er hatte versucht, mich zu retten, doch der Plan war in einen Alptraum umgeschlagen. Eine Kugel war auf den Mann abgefeuert worden, den ich liebte und den Vater meines Babys. Ich hatte mich schützend vor die abgefeuerte Kugel geworfen. Nur hatte diese Kugel dort getroffen, wo es am meisten wehtat. Und sie hatten es geschafft, über ihre dunkelsten Erwartungen hinaus.

Ich fröstelte. Ich erinnere mich an die schreckliche Nacht, einige Tage nach meiner Entführung. Das Eindringen von Jimmy. Mein Jimmy. Mein Polizist aus Hamilton, meine Seelenverwandte, war mitten in einer heißen Augustnacht während der Hochzeit meiner besten Freundin Beth mit Cole, Jimmys Bruder, mit mir verschmolzen. Er war gekommen, mit Ethan und Cole, seinen Brüdern, wie ein Orkan der Gerechtigkeit und der Wut. Sie waren über diesen abscheulichen Ort hereingebrochen, ihre Waffen spuckten Feuer, ihre Gesichter waren von der Angst, mich zu finden, verkrampft. Das plötzliche Eindringen von Jimmy und seinen Brüdern Ethan und Cole, die Schießerei, die Schreie, das Chaos. Und dann erinnere ich mich an den Knall, den brutalen Stoß in meinem Bauch, den blitzartigen Schmerz, der mich überwältigte, die Wärme des Blutes, das meine Kleidung durchtränkte. Ich erinnere mich an Jimmys panischen Blick, seine gebrüllten Worte, seine Arme, die mich an sich pressten, den verzweifelten Lauf zum Krankenhaus. Und schließlich die kalte und endgültige Stille des Operationssaals. Ich erinnere mich an den markerschütternden Schrei, der meinen Lippen entfuhr, als ich es begriff.

„Jane?“ Eine sanfte und vertraute Stimme riss mich aus meinen dunklen Erinnerungen. Callie, Ethans Frau, kniete sich neben mich und legte tröstend eine Hand auf meinen Rücken. Ihre grünen Augen drückten tiefes Mitgefühl aus.

Ich kann nicht antworten, begnüge mich damit, den Kopf zu schütteln, meine Tränen werden heftiger. Callie drückt mich etwas fester.

„Ich weiß, Jane. Ich weiß, dass es nie einfach ist.“

„Zehn Jahre, Callie… Zehn Jahre und es ist immer noch so… lebendig“, flüstere ich, meine Stimme von Schluchzern gebrochen. „Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen.“

„Der Verlust eines Kindes… das ist ein Schmerz, der niemals wirklich verblasst“, antwortete Callie leise. „Man lernt nur, damit zu leben.“

Ein schweres Schweigen legte sich zwischen uns, nur unterbrochen vom Windhauch und meinen erstickten Schluchzern. Callie wartete geduldig, wissend, dass es keine richtigen Worte gab, um solch ein Leid zu lindern. Schließlich holte ich tief Luft und versuchte, die Kontrolle über meine Gefühle wiederzugewinnen. Ich wischte mir mit dem Handrücken die Augen.

„Danke, Callie. Dass du da bist.“

„Wir sind eine Familie, Jane. Immer“, antwortete Callie mit einem zärtlichen Lächeln.

Nach dem Drama hatte ich mich in mich zurückgezogen, überwältigt von Trauer und Schuld. Ich war nach New York zurückgekehrt und hatte mich mit Leib und Seele in meine Arbeit bei Spadek Law gestürzt, einer großen Kanzlei, die für ihre Hartnäckigkeit und ihren Erfolg bekannt war. Der rasante Rhythmus des New Yorker Lebens hatte mir eine Art Betäubung verschafft, einen Weg, dem nagenden Schmerz zu entkommen, der mich zerfraß.

Jimmy war in Hamilton geblieben, seine Polizeiuniform wie eine Rüstung gegen den Kummer. Wir hatten uns voneinander entfernt, die geografische Distanz verschärfte die emotionale Kluft, die unsere Tragödie gerissen hatte. Unsere Anrufe wurden seltener, unsere Besuche rar. Die Flamme unserer Liebe, einst so intensiv, flackerte unter der Last der Trauer.

Doch ein unsichtbares Band verband uns weiterhin. Ein dünner Faden, gewebt aus gemeinsamen Erinnerungen, geflüsterten Versprechen und einer Liebe, die sich trotz des Schmerzes weigerte, vollständig zu erlöschen.