Bibliothek
Deutsch
Kapitel
Einstellungen

4. Kapitel

Ein entsetztes Raunen ging durch die versammelte Schülerschaft. Aus der Menge der Mädchen, die um den Kreis herum standen, war leises Schluchzen zu vernehmen. Ana lag rücklings auf dem Boden. Ihr Körper zuckte unkontrolliert. Arme und Beine schienen ihr nicht mehr zu gehorchen. Instinktiv wichen die anderen Schüler zurück. Ana war nicht bei Bewußtsein. Keiner traute sich, näher an sie heran zu gehen.Ihr Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzogen. Ihre Hände zu Krallen verkrampft. Sie atmete keuchend. Schweiß stand auf ihrer Stirn. Aus ihrem Mund und ihrer Nase liefen blutige Rinnsale. Die Schüler standen schweigend um sie herum und blickten wie gefesselt auf das grausige Schauspiel, was sich ihren Augen bot.

In diesem Augenblick drängelte sich von hinten ein Mann durch die Menge der wie erstarrt da stehenden Schüler. Mr. Bower überblickte sofort die Situation." Sie muss augenblicklich auf die Krankenstation," stieß er hervor. "Der Stromstoss muss ungewöhnlich stark gewesen sein." In diesem Augenblick erschlafften Anas Muskeln und sie sank bewegungslos auf den Boden. Ihre Augenlider zuckten noch kurz, dann lag sie reglos da. Elena starrte immer noch fassungslos auf dss entsetzliche Bild, das sich auf ihre Netzhaut brannte. So einen Ausgang des Rituals hatte sie noch nie erlebt. Ihre Knie zitterten. Eine in diesem Ausmass noch nie dagewesene Übelkeit breitete sich in ihrem Magrn aus. Ohne auf die im Kreis stehenden Schülerinnen zu achten, zwängte sie sich durch die Reihen und stürzte um nächsten Papierkorb, in den sie sich keuchend übergab.

Rina blickte sich nervös um. Sie hielt ihren Blick gesenkt. Die Laute, die Ana von sich gab, waren einfach entsetzlich. Es war wie eine Mischung aus einem Winseln und einem Knurren. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Rina konnte sie nicht zurückhalten. Sie biss sich verzweifelt auf die Unterlippe, bis sie das Blut in ihrem Mund spürte. Das sah wirklich schrecklich aus für Ana. Atmete sie überhaupt noch? Warum dauerte das nur so lange? Wann kam endlich Hilfe?Rina merkte, wie Panik in ihr aufstieg. Ana durfte nicht sterben. Nicht für so ein lächerliches Ritual. Was zum Henker noch einmal war bloss diesmal schief gelaufen? Endlich - Rina kam es vor, als seien seit Anas Zusammenbruch Stunden vergangen, obwohl es in Wirklichkeit wohl nur einige Minuten gewesen waren - kamen zwei Frauen aus dem Krankentrakt geeilt, die eine Trage brachten. Elena half Mr. Bower dabei, Ana auf die Trage zu heben. Rina folgte ihnen, bis sie das Krankenzimmer erreicht hatten. " Wartet hier," Der Ton der Akamie- Ärztin Dr. Miller duldete keinen Widerspruch."

"Ist sie immer noch bewußtlos?" traute Rina sich zu fragen. "Ja," grummelte die Ärztin, " ich sage doch schon seit Jahren, dass diese Rituale zu gefährlich sind. So oft ist es schon zu Verletzungen gekommen. ...Aber so stark. Und gleich Bewusstlosigkeit." Ihre Stimme wurde immer leiser. Die letzten Sätze hatte sie vor dich hin gemurmelt. "So eine starke Reaktion habe auch ich noch nie gesehen," fügte die Ärztin, an Rina gewandt hinzu."Sie bleibt jetzt erst mal auf der Krankenststion und ihr geht ins Bett. Morgen früh geht es der Patientin hoffentlich besser."

Ana stand auf einer Ebene. Um sie herum war nichts als rauchende Trümmer und tiefe Krater im Boden zu erkennen. Sie hörte lautes, entsetztes Kreischen. Menschen, die voller Panik waren und drohten, vor Entsetzen zu kollabieren. Schwer verletzte Menschen mit blutenden Kopfwunden und schreiend vor Schmerzen irrten staubbedeckt durch die Trümmerwüste, die kurz zuvor noch eine belebte Großstadt gewesen war. Sie sah verdrehte Gliedmassen, blutverschmierte Gesichter. Einige Personen lagen still auf dem Boden - zu still. Alle Gestalten trugen nur noch Fetzen ihrer Kleidung am Körper. Fast jeder hatte Brandverletzungen. Der Klang von Martinshörnern war aus allen Richtungen zu hören. Als Ana an sich selbst herunter sah, stellte sie fest, dass sie selbst bis auf ein paar unwesentliche Kratzer unverletzt war.

Inmitten dieses unbeschreiblichen Chaos sah Ana am Horizont eine sonnenbeschienene Wiese, die leer und still dalag. "Geh zu der Wiese," hörte sie die Stimme. Und wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, folgte sie ihr raus aus dem Chaos, die Schreie und die Angst, die Ana fast körperlich spürte, hinter sich lassend, zur Wiese. Auf ihrem Weg dorthin, stiess sie mehrfach mit den staubigen Gestalten zusammen. Doch keine reagierte auf ihre in regelmäßigen Abständen wiederholten Entschuldigungen. Ein kleiner Junge lief auf sie zu. Er weinte jämmerlich. Sie nahm ihre Hand und wollte ihm zur Beruhigung über den Kopf streichen, doch ihre Hand glitt durch ihn hindurch.

Ana ahnte bereits, das die Menschen sie nicht wahrnehmen konnten, bevor sie die Wiese erreichte. Auf der Grasfläche angelangt, hörte sie ein sadistisch klingendes Lachen, dessen greller Ton ihr furch Mark und Bein ging. " Vergiss es, dich hört hier niemand und du kannst niemand berühren," bestätigte die Stimme ihre Vermutung. " Wo, wo bin ich? U..nd w..er bist du?," stotterte sie.

Die Stimme begann zu sprechen. Sie wußte nicht,ob die Worte tatsächlich gesprochen wurden oder ob sie sie nur in ihrem Kopf hörte. Körperlos drangen die Wort in Anas Verstand ein und setzten sich dort fest.

"Das ist das Ende der Zeiten. Der SuperGau. Der Untergang. Ich habe versucht, die Welt zu vernichten, doch die Welt hat sich mir widersetzt. Du wirst dafür sorgen, dass mein Werk vollendet wird." " Aber warum willst du die Welt vernichten? Und warum hast du mich ausgewählt?" Ana sah sich um. "Wer bist du ? Zeig dich."

"Du wirst mich noch früh genug kennen lernen. Und dann wirst du es bereuen, jemals den Wunsch geäußert zu haben, mich zu sehen, gehabt zu haben. Es ist dein Schicksal. Du entkommt mir nicht. Ich bin das Böse. Das reine Böse. "Nein," Ana bebte vor Entrüstung. "Niemals werde ich dir bei der Vernichtung der Welt helfen."

" Ich wiederhole: Es ist dein Schicksal. Und niemand entkommt seinem Schicksal." Die Stimme lachte wieder ihr entsetzliches Lachen. Es war ein derart kaltes, höhnisches Lachen, dass Ana übel wurde.

"Niemand entkommt seinem Schicksal," wiederholte die Stimme. Die Worte hallten in ihren Ohren. So hatte sie noch nie jemand sprechen hören. Es lief ihr eiskalt den Rücken herunter.

" Und wenn ich nicht will?"

" Du bist mutig und die stärkste Frau seit langem. Deine Kräfte sind so stark ausgeprägt, dass es sich für mich lohnt, gegen dich zu kämpfen. Du reizt mich. Der Rest eurer menschlichen Spezies in deiner Schule ist so schwach, die haben schon verloren, bevor sie überhaupt anfangen, aber du," der Ton in der körperlosen Stimme wechselte von gleichgültig zu genießerisch. " du wirst ein Leckerbissen für mich. Ich mag es, meine Beute jagen zu müssen."

Und wieder lachte die Stimme höhnisch. Plötzlich ertönte von irgendwo ein lauter, ohrenbetäubender Knall. Reflexartig riss Ana ihre Hände nach oben und presste die auf ihre Ohren. Sie fühlte sich in einen Sog gezogen, der zu einem starken Wirbel, ähnlich einer Windhose wurde. Sie hatte dem Wirbel nichts entgegen zu setzen und ihr wurde wieder schwarz vor Augen.

" Sie kommt zurück," rief Dr. Miller. Ana schlug die Augen auf. Verwirrt sah sie sich um. Wo war sie? Der Raum war hell und freundlich, von Sonne beschienen. Sie lag in einem weißen Bett. Davor standen zwei Frauen, von denen die eine Frau ein Gewand wie das einer Nonne trug. " Willkommen zurück!"

"Wo bin ich?" hauchte Ana. Ihre Stimme klang so schwach und zittrig, dass sie sich selbst fast nicht hören konnte." Auf der Krankenstation." " Was ist passiert?" " Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt." Von irgendwo kam Rinas Stimme. Ana versuchte, sich aufzurichten. Als sie ihren Kopf hob, wurde ihr erneut schwarz vor Augen und eine Welle von Übelkeit überrollt sie, wie aus dem Nichts. Stöhnend sank Ana in die Kissen zurück.

" Sie bleibt heute noch hier. Ich möchte ihre Vitalwerte prüfen," der Ton der Ärztin duldete keinen Widerspruch. Sie funkelte Rina an. "Eigentlich müsste ich sie jetzt rausschmeissen. Meine Patientin braucht Ruhe." " Nein," flüsterte Ana mit geschlossenen Augen. Ihre Stimme klang kläglich. "Rina soll bleiben." "Aber nur zehn Minuten," grummelte die Ärztin. " Danach fliegt sie raus," befahl sie der Nonne. Diese nickte." Ich sorge dafür, Frau Doktor." Die Ärztin drehte sich um und rauschte aus dem Raum. Die Schwester grinste Rina an. " Nicht zu lange und rege die Patientin nicht auf." Sie zwinkerte Rina zu und drehte sich um und verließ das Krankenzimmer.

" Und nun erzähle. Ich kann es kaum erwarten. Was ist passiert? So ist das Ritual noch nie ausgegangen," Rina sah Ana erwartungsvoll an. " Wenn ich das wüßte. Ich verstehe selbst nicht, was geschehen ist. Ich habe seltsame Dinge gesehen, " begann Ana zögernd und abgehackt, unterbrochen von vielen Pausen, in denen sie stöhnend um Atem rang, zu erzählen.

Dabei horchte sie in sich hinein. Sie fürchtete sich davor, wieder einen Stromstoß zu bekommen. Doch nichts passierte.

" Ich war dabei... zur Zeit des GAU. Ich habe die leidenden... Menschen gesehen...Und dann die Stimme... Jemand...spricht mit mir. Es sei... mein Schicksal, ...mit ihm ...die Welt... endgültig ... zu vernichten. "

"Malus spricht mit dir?" Rina wurde blass. Sie griff sich mit der Hand an die Kehle. Ana sah, dass die Freundin am ganzen Leib zitterte. " Malus?", fragte sie zögernd. " Malus, der Gott des Chaos," flüsterte Rina. Ana sah sie verständnislos an. Sie war nicht religiös. Mit den alten Göttern und auch mit dem Christentum hatte sie nichts am Hut. "Meine Eltern...," sie keuchte erneut. "sind Atheisten... und haben ...mich auch so erzogen... Ich bin weder getauft, ...noch konfirmiert. Und die ... alten Götter ... sind meinen Eltern ... auch herzlich ... egal."

Rina starrte sie an. " Du weißt nichts über die Götter? Über Malus?" Entsetzen klang aus Rinas Stimme.

" Meine Eltern," Ana japste erneut keuchend nach Luft, " Sie wollten, dass ...ich meine Kindheit genießen kann..." Eine Träne lief ihr über die Wange. "Sie haben immer gesagt,... dass das Leben ...mich schon früh genug ... prägen würde."

" Und deshalb haben sie dir das Wissen vorenthalten? Du Arme." Rina blickte Ana mitleidig an. " Und.." hob Ana wieder zu sprechen an. " Meine Eltern... nicht... wissen was..." Sie stoppte. " Du meinst, deine Eltrrn sollen nicht informiert werden?" Ana nickte schwach. "Aber die informieren immer die Eltern, wenn eine Schülerin oder ein Schüler verletzt ist." Rina nickte zur Bekräftigung ihrer Worte. Ana blickte Rina traurig an." Meine Eltern waren..." Ana schnaufte. " ...nicht glücklich darüber,...als ich den Brief bekam,.. der mich auf diese Schule einlud. - Aber sie haben mich her geschickt."

"Du musst unbedingt zu den Denkern. In dem Bibliotheksgebäude ist das gesamte Wissen der Menschheit von Anbeginn an versammelt, auch über die Religion - oder was nach dem GAU noch übrig war. Doch es konnte eine Menge gerettet werden. Von allen Enden der Welt sind Schriften herbeigeschafft worden," begann Rina zu erzählen.

"Die Denker leben dafür, die Schriften zu suchen, zu sammeln, zu übersetzen und dann zu interpretieren. Nur sie können dir sagen, was deine Erlebnisse zu bedeuten haben. Und ..." Rina brach ab und holte tief Luft.

Ana sah, dass es ihr schwer fiel, weiter zu sprechen. " Ich will dir keine Angst einjagen. Vielleicht sollten wir uns weiter unterhalten, wenn es dir besser geht. Dann hast du mehr Kraft, das zu verarbeiten, was ich dir erzählen muss. Es wird keine schöne Geschichte." Rina seufzte.

" Rina," Ana schrie fast den Namen ihrer Freundin, " spanne mich ..." keuchte sie, "nicht auf die Folter...Ich muss ... wissen, was das ... alles bedeutet, ... was ich ... hier erlebe.

Sonst... denke ich noch," sie schnaufte erneut. "dass ich den Verstand verliere." Ana blickte Rina traurig an. In ihrem verängstigt aussehenden Gesicht füllten sich ihre großen, dunklen Augen mit Tränen.

" Nur soviel: Malus ist der Gott des Chaos. Er lebt von Gewalt und Vernichtung. Er versucht, die Menschheit zu vernichten. Aber alles weitere müssen dir die Denker erklären." Rina rieb sich die Augen.

Ana zog die Bettdecke bis hoch zum Hals. Was Rina erzählt hatte zusammen mit ihren Erlebnissen, machte ihr Angst. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie begann zu zittern. "Kommst du mit mir... zu den Denkern?" Rina zögerte. "Was ist?"

" Darf ich ehrlich sein, Ana?" "Ich bitte ... darum," Ana sah die Freundin an und nickte ihr aufmunternd zu. "Ana, ich habe Angst. Angst vor dem, was wir erfahren könnten, wir entfesseln womöglich Dinge, die wir nicht kontrollieren können." Rina holte tief Luft. Dann griff sie nach Anas Hand. Sie suchte ihren Blick. Ihre Stimme klang jetzt fest. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Dann fuhr Rina fort, zu sprechen. " Die Denker können uns hoffentlich weiter helfen." Ihre Stimme zitterte ein wenig. Sie schluckte. Dann fuhr Rina mit fester Stimme fort: "Ich bin dabei. Ich werde mich meinen Ängsten stellen."

Rina sah Ana wieder direkt in die Augen. Ana erwiderte den Blick, doch sie hielt es nur kurz aus und wandte sich ab. Sie blickte an die Zimmerdecke und erwiderte:" Ich... kann nicht ...mehr zurück. Ich... habe es mir ... nicht ausgesucht, ...dass er... mich... in meinen Träumen... und sogar.. in der Ohnmacht.. heimsucht. Wenn ich... ," sie keuchte erneut auf. Schweißtropfen liefen von ihrer Stirn hinab. "...nicht verrückt werden will, ...muss ich Erklärungen finden." Nach diesen Worten lehnte Ana sich zurück und schloss erschöpft die Augen.

Sie ahnte nicht, dass dieser Entschluss sie und ihre Freunde mehrfach in Lebensgefahr bringen und ihr gesamtes bisheriges Leben in Frage stellen sollte.

---------------------------------------------------------

Nun ist dieses schon der 4. Teil von meinem Text. Und wichtig ist mir auch diesmal, mich bei euch zu bedanken, dass ihr den Text lest. Ich freue mich über jeden Leser. Schreibt mir bitte gern, wie euch mein Text gefällt.

Heute geht der Teil überarbeitet wieder online.

Laden Sie die App herunter, um die Belohnung zu erhalten
Scannen Sie den QR-Code, um die Hinovel-App herunterzuladen.