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Kapitel 6 - Sehnsucht nach der Heimat

So sehr Victoria versuchte die unruhigen Bewegungen neben sich zu ignorieren, musste sie sich schlussendlich dennoch geschlagen geben und öffnete ihre Augen. „Kannst du mir sagen, was du da machst?“, fragte sie. Das halbe Gesicht noch ins Kissen gedrückt beäugte sie mit dem linken Auge dieses freie Sicht auf das Geschehen hatte, wie Aurela sich unter der Decke wand und mit ihren Füßen trat. Ihr Gesichtsausdruck wirkte genervt und angespannt, gequält und verletzt. „Mir ist langweilig. Können wir nicht etwas spielen?“

Sich auf den Ellenbogen stützend blickte Victoria auf den jungen Werwolf hinab. Nicht verstehend weshalb sie zu dieser frühen Stunde das Bedürfnis hatte sich spielerisch zu betätigen…bis der gelernten Tierarzthelferin die Erleuchtung gesandt wurde. Aurela ist ein Werwolf. Schätzungsweise um die vier Jahre alt. Für einen normalen Hund wäre das ein ausgewachsenes Alter…doch für einen Werwolf? Welpen sind verspielt und müssen ihre Energie anderweitig abarbeiten wie eben die Erwachsenen das wusste sie. Für Aurela galt diese Regel auch noch, denn selbst in ihrer Wolfsgestalt war sie noch recht klein im Vergleich zu einem normalen Hund. „Ich gehe nach dem frühstück mit den Hunden raus. Komm doch mit dann kannst du mit ihnen Spielen.“ Victoria hoffte inständig, dass sie mit dieser Idee zufrieden sein würde, denn etwas anderes konnte sie dem braunhaarigen Mädchen zu ihrer rechten nicht anbieten. „Ja dann los“, quietschte Aurela, warf die Decke zur Seite und sprang aus dem Bett. Schwer seufzend ließ Victoria sich wieder in die weichen Federn fallen und schloss ihre Augen. Nur noch etwas Ruhe, bevor sie der Trubel des Alltages wieder zu Boden drücken würde. Mehr verlangte sie in diesem Moment nicht, dennoch hatte Aurela ganz andere Pläne und zog sie schwungvoll aus dem Bett so, als hätte sie kein Gewicht. „Jetzt komm schon ich will nach draußen und mit den Hunden spielen.“ Widerwillig gab Victoria klein bei und folgte ihr aus dem Zimmer. Aurela hatte es sich nicht nehmen lassen die Hunde vorzubereiten während Victoria, nachdem die beiden das Frühstück beendet hatten unter die Dusche sprang.

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Sanft wehte die warme Brise ihr durch das Haar. Aurela war einige Meter vor ihr und versuchte mit dem schnellen Schritt der sechsjährigen Border Collie mitzuhalten. Victoria machte sich keine Sorgen das sie ihr schon so weit voraus waren. Striktes training begleitete ihre Erziehung. Ein pfiff und sie wären schneller an ihrer Seite als man „Bei Fuß“ sagen konnte. Leicht kniff Victoria die Augen zusammen als sie ihren Blick nach oben in den Himmel richtete. Die ersten Sonnenstrahlten brachen durch die Kronen der Bäume. Das sanfte lila mischte sich mit zartem rosa und der Kühnheit der blauen Unendlichkeit diese sich weit über den Häuptern ihrer Existenz erstreckte. Es waren diese Momente in denen Victoria alles, was sie nachts wachhielt, alles, was ihre Gedanken kreisen ließ vergessen ließ und sie einfach nur atmete. Und dann war da auch noch Aurela. Es war erst der zweite Tag an diesem sie Wachsamkeit über dieses Kind hegte. Dennoch war ihr – auch wenn es surreal war dies zuzugeben die Kleine sehr ans Herz gewachsen. Victoria machte sich nie Gedanken über den Wunsch eine eigene Familie zu besitzen. Sie führte in ihrem ganzen Leben noch keine Richtige Beziehung und das Wort Liebe war ihres Herzens völlig fremd. Nichts außer ihren Hunden war ihr jemals so wichtig gewesen. Zu ihrer Familie hatte Victoria keinen Kontakt und Freunde hatte sie auch keine außer ihren Arbeitskollegen. Dennoch konnte sie diese Personen nicht wahrlich als Freunde bezeichnen. Doch Aurela war, wie sie es sagen würde eine Ausnahme. Erneut fand sich Victoria auf der morschen von Moos befallenen Bank wider diese ihr unter dem Schutz der Jahrzehnte alten Linde Schatten bot. Das Bild welches sich vor ihren Augen ergab war atemberaubend und herzzerreißend zugleich. Ihre Jungs hatten, genau wie sie selbst einen narren an der jungen Wölfin gefressen. Jedoch musste sie realistisch bleiben. Aurela musste so schnell wie möglich wieder nachhause. Doch ohne einen geringen Anhaltspunkt…wie sollte sie das Anstellen? Und was ist mit ihrem Vater? Victoria konnte sich nicht im geringsten Ausmalen welche Qualvollen Stunden dieser Mann durchleben musste. Seine Tochter verletzt und vom einen auf den anderen Moment verschwunden. Sie selbst würde kein Auge mehr zutun, wenn ihr eigenes Kind plötzlich als vermisst gelten würde. Und auch wenn Aurela es nicht aussprach, wusste Victoria, dass sie große Sehnsucht nach ihm verspürte. Wer konnte es ihr auch verübeln? Diese von Angst geprägten Stunden der Ungewissheit in diesen sie dort auf dem kalten feuchten Waldboden lag. Nicht wissend, ob sie es überlebt hätte oder welche seltsamen Kreaturen ihr über den Weg gelaufen wären und weiß Gott, was mit ihr angestellt hätten. Sie sprach es nicht laut aus, doch diese Nacht wurde Victoria des Öfteren durch das schluchzende Gemurmel des kleinen Mädchens geweckt dieses nach ihrem Vater rief. Victoria hatte die Aufgabe Aurelas Vater ausfindig zu machen und sie nachhause zu bringen. Doch fürs erste genoss sie die entspannte Atmosphäre und die zunehmende Wärme, diese sanft ihre Haut streifte.

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Gerade fünf Minuten bevor ihre Schicht begann, kam Victoria auf der Arbeit an. Sie war auf der Bank eingeschlafen, während Aurela sich mit den Hunden beschäftigte. Gestresst band sie sich ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz, während sie sich vor dem Monitor am Empfang der Praxis niederließ. „Geht es dir gut? Es ist doch sonst nicht üblich das du so spät erst erscheinst.“ Annika, ihre Kollegin lehnte sich an den Stuhl und blickte auf sie herab. „Ich habe verschlafen das ist alles“, antwortete sie monoton. Sie konnte ihrer Kollegin schlecht erzählen, dass sie einen Werwolf bei sich aufgenommen hatte dieser ihren ganzen Alltag auf den Kopf stellte…man würde sie für verrückt halten. Zu ihrem Glück ging Annika nicht weiter darauf ein und hinterließ einen kühlen Windhauch, als sie sich von Victoria entfernte, um ihrer eigenen Arbeit die gewünschte Aufmerksamkeit zu schenken. Den Kopf auf die Handfläche gestemmt saß Victoria an ihrem Terminkalender. Das Klingeln des Telefons überhörte sie an diesem Tag mehrmals, doch ihre Aufmerksamkeitsspanne war nicht vorhanden. Mehrere Mahnungen ihrer Kollegen und ihres Chef musste sie schon in Kauf nehmen, doch so sehr sie versuchte der Müdigkeit entgegenzuwirken…sie hatte keine Chance. Die Augen blieben zu, die Atmung wurde regelmäßig und schon verschwanden die Geräusche diese Victoria umgaben...alles wurde still.

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