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Kapitel 2

Aria legte Messer und Gabel beiseite und stand auf. Sie konnte dieses Netz aus Lügen keinen Moment länger ertragen.

Als sie sich abwandte, sprang Kane sofort auf. Für einen Wimpernschlag wich die Kontrolle aus seinen Augen, und nackte Panik trat an ihre Stelle.

"Mein kleiner Wolf, was ist los?"

Aria schüttelte den Kopf, ihre Stimme weich wie ein Windhauch.

"Ich bin müde. Ich will ins Rudel zurück."

Ohne seine Antwort abzuwarten, verließ sie den privaten Raum und trat hinaus auf die Straße.

Als sie den Kopf hob, fiel ihr Blick direkt auf die riesige LED-Wand gegenüber. Dort lief ein öffentliches Werbevideo.

"Aria, sei meine Gefährtin!" Die grellen Buchstaben prangten groß und unübersehbar auf dem Bildschirm.

Passanten blieben stehen und raunten beeindruckt durcheinander.

"Oh wow, ich hab gehört, Kanes Frau kann sich nicht verwandeln. Deshalb hat er das höchste Gebäude der Stadt gemietet, nur damit sie den Satz ‘Sei meine Gefährtin’ von überall sehen kann. Wie romantisch!"

"Kane ist viel zu gut zu diesem nutzlosen Ding. Er wird ein großartiger Alpha."

Aria, die Protagonistin dieses Spektakels, konnte nur bitter lächeln.

Noch vor einer Woche hätte sie wie diese Zuschauer reagiert, voller Bewunderung, überzeugt von Kanes Liebe.

Sie war in einem verfallenden Rudel geboren worden, in dem man sie wegen ihrer Unfähigkeit, sich zu verwandeln, wie eine Schande behandelte. Eine Außenseiterin, die nie dazugehörte.

Und genau in dieser tiefsten Verzweiflung war Kane aufgetaucht. Er hatte behauptet, sich auf den ersten Blick in sie verliebt zu haben, und eine unermüdliche Verfolgung begonnen.

Aber sie kannte solche Grausamkeit — Werwölfe, die aus Langeweile mit einem schwachen Wolf spielten. Also wich sie ihm aus.

Neunundneunzig Mal jagte er sie. Neunundneunzig Mal wies sie ihn zurück.

Doch dann kam der Tag des Silberjäger-Angriffs. Kane hatte sich ohne zu zögern vor sie geworfen. Eine Silberklinge hatte sich tief durch seine Schulter gebohrt, doch er blieb in derselben Haltung, unbeweglich, schützend, bis sie in Sicherheit war.

Als er im Krankenhaus erwachte, so geschwächt, dass er kaum seine menschliche Form halten konnte, hob er zitternd die Hand und strich ihr sanft über das Gesicht.

"Mein kleiner Wolf… solange du lebst, ist alles gut."

In diesem Moment war ihr zum ersten Mal klar geworden, dass es jemanden gab, der bereit war, für sie alles zu riskieren — selbst wenn sie ein nutzloser, unverwandelbarer Wolf war.

Ein feiner Riss war in der Mauer um ihr Herz entstanden.

Die Silberwunde heilte nie richtig. Eine kreisrunde, bleiche Narbe blieb zurück. Jedes Mal, wenn Aria sie sah, spürte sie ein leises Ziehen in ihrer Brust.

Fünf Jahre lang war Kane unerschütterlich an ihrer Seite gewesen. Mit seiner Zärtlichkeit hatte er sie Stück für Stück überzeugt, ihm vollkommen zu vertrauen.

Selbst als das Rudel sich heftig gegen ihre Verbindung stellte, hatte er sich durchgesetzt und um ihre Pfote angehalten.

Damit sie die wilde Essenz ihres Gefährten während der Zeremonie spüren konnte, wagte Aria eine Blutlinienerweckung — ein Ritual, das tödlich enden konnte. Viele scheiterten daran.

Doch wie durch ein Wunder hatte sie überlebt. Und noch mehr: sie hatte eine seltene Fähigkeit erhalten, eine außerordentlich feine Wahrnehmung.

Sie wollte Kane am Tag der Zeremonie damit überraschen. Bis dahin sollte niemand davon erfahren.

Aber das Schicksal hatte andere Pläne.

An ihrem Erwachungstag, als die neue Fähigkeit zum ersten Mal durch ihre Sinne strömte, hatte sie Kanes Verrat gespürt — klar und unausweichlich.

Sie hatte seinen Telefonanruf mitgehört. Sein Julia. Ihre dreckigen, schamlosen Flirtworte. Das Lachen. Das Seufzen. Das Verlangen.

Erst da hatte sie die Wahrheit erkannt.

Er betrog sie nicht erst seit gestern.

Nicht seit letzter Woche.

Nicht seit einem Monat.

Sondern seit einem Jahr.

Seit einem ganzen Jahr — und sie hatte blind neben ihm gelebt, ohne auch nur einen Hauch davon zu bemerken.

Ein stechender Schmerz schoss ihr erneut in die Brust, und ihre Beine gaben nach. Sie kauerte sich auf den Boden, die Arme fest um sich geschlungen.

Kanes Worte von vorhin im privaten Raum hämmerten immer wieder durch ihren Kopf.

Die Gefährtenzeremonie stand kurz bevor. Und dennoch wollte er seine Affäre nicht beenden. Nicht einmal jetzt.

Hielt er sie wirklich für so nutzlos, dass er glaubte, sie würde es nie herausfinden?

Der eisige Winterwind fuhr ihr ins Gesicht und brachte ihre Gedanken wieder zur Klarheit.

Sie würde Kane beweisen, dass Lügen immer aufbrechen. Immer.

Und sie, Aria, würde Verrat niemals hinnehmen.

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