Kapitel 1
Vasilisa
In der Gepäckausgabe war es furchtbar stickig. Die Klimaanlagen kamen mit ihrer Aufgabe nicht zurecht, es waren zu viele Menschen in der Halle, man konnte sich kaum vorwärts bewegen. Obwohl ich mich sehr bemühte. Das Flugzeug war verspätet, und jetzt war ich auch furchtbar spät dran, als ich mich durch die Menge zum Gepäckband drängte. Und ich war nicht die Einzige. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir auf die Füße getreten wurde. Und ich bin selbst auch nicht besser...
„Verdammt!“, entfuhr es mir, und ich stolperte.
Ich wäre fast hingefallen. Und ich wäre auch hingefallen, hätten mich nicht fremde Hände festgehalten. Zuerst haben sie mich aufgefangen, dann wieder auf die Beine gestellt.
„Pass besser auf“, ertönte es mürrisch von oben.
Und nein, ich wollte mich nicht mit einem banalen „Danke“ abfinden, ohne eine weitere Diskussion mit meinem nicht besonders freundlichen Retter anzufangen, aber ich musste einfach meinen Kopf heben. Das war übrigens gar nicht so einfach, denn der Mann, der mich festhielt, war sehr groß. Über solche Männer wurden in Russland Sagen geschrieben. Er war nicht nur kräftig. Er war ein richtiger Hüne, mindestens zwei von mir hätten nötig gewesen, um seine breiten Schultern zu umfassen. Aber nicht nur das verursachte eine Dissonanz in meiner Wahrnehmung. Seinen massiven Kiefer zierte ein dunkler Bartstoppeln. Seine Energie war ... wild. Man spürte sie in allem: in der Drehung seines Kopfes, seinem kräftigen Hals, den Umrissen seines starken Körpers. Bei einem wie ihm weiß man schon beim ersten Blick, dass man verlieren wird. Egal, worauf man sich einlässt. Außerdem roch der Mann überraschend anziehend. Nach Zimt und Mandarinen. Hätte man noch einen Hauch von Kaffee hinzugefügt, wäre ich ihm sicher in den Armen geschmolzen, da ich seit mindestens fünf Stunden, seit ich im Flugzeug saß, von einer Tasse Cappuccino mit Zimt und Zitronenschale träumte. Außerdem trug der Hüne einen Kaschmirmantel mit großen silbernen Knöpfen und eine Sonnenbrille. Im Dezember. In der stickigen Halle des Flughafens. Ich blieb bei dem letzten Wort hängen und vergaß, dass es nicht schlecht gewesen wäre, ihm etwas zu antworten. Der Fremde bemerkte natürlich meinen Zustand. Er musterte mich demonstrativ langsam von Kopf bis Fuß und verzog dann sein Gesicht zu einem spöttischen Lächeln.
„Pass auf dein Gepäck auf“, sagte er und nickte in Richtung der vorbeifahrenden Koffer.
Die waren übrigens immer noch schwer zu sehen.
„Ich werde sie nicht vergessen, wenn du aufhörst, mich zu begrapschen und rückst“, sagte ich sarkastisch.
Warum? Weil es mich einfach gekränkt hatte. Er hatte offensichtlich gedacht, dass ich auf ihn stand, so zufrieden, wie er war. Und nach meinen Worten wurde er noch zufriedener. Er grinste breit und nahm demonstrativ seine Hände von mir, hob sie in einer Geste der Kapitulation. Gleichzeitig trat er einen Schritt zurück.
„Als ob du dadurch weniger breit würdest“, murmelte ich und drängte mich zwischen ihn und eine andere alte Dame, die auf ihr Gepäck wartete.
Wie es der Zufall so wollte, entschied sie in diesem Moment, dass sie ihr Gepäck doch nicht so dringend brauchte. Warum sonst hätte sie sich zurückgezogen? Natürlich trat sie mir dabei auf den Fuß, woraufhin ich banal aufschrie. Wieder stieß ich auf denjenigen, dessen Gesellschaft ich gerade losgeworden war. Die Oma meiner Leiden bemerkte das überhaupt nicht und stieß mich im Halbdreh mit dem Ellbogen, woraufhin ich wieder nach unten flog. Diesmal direkt mit dem Gesicht auf die unglückseligen Koffer.
„Verdammt!“ fluchte ich und krümmte mich instinktiv in der Luft, obwohl ich mich nirgendwo festhalten konnte.
Die Landung war nicht gerade glücklich.
Dafür entdeckte ich meine Tasche!
Sie lag genau zwischen drei Koffern. Allerdings kam ich nicht an sie heran. Denn ich rollte zusammen mit meiner Tasche auf diesen Koffern ebenfalls beschämend über das Band ... Bis ich das bereits bekannte Kichern hörte und man mich unter den Achseln packte, hochhob und wieder auf den Boden stellte.
„Ich wusste, dass ich dich nicht aus den Augen lassen sollte“, kommentierte mein Retter das Geschehen.
„Ha-ha, sehr originell“, verzog ich das Gesicht, vor allem weil der Schmerz vom Sturz wieder zu spüren war.
Wahrscheinlich würde jetzt ein dicker blauer Fleck an meinem Knie zu sehen sein. Aber das war nicht weiter schlimm. Endlich war meine Tasche angekommen, und ich schnappte mir mein Gepäck.
„Äh... Ähm...“, räusperte ich mich.
Ich hätte endlich aus dieser Hölle verschwinden können, aber ich hatte meine Tasche genommen – ja, aber mein Retter in der Not ließ mich nicht los.
„Hören Sie mal“, sagte ich, während ich mich aufrichtete und vorsichtshalber meine Tasche fester umklammerte, „Sie lassen doch nicht etwa Ihr Gepäck durch, oder?“ Ich drehte mich halb zu dem Mann um. „Während Sie nach einem Vorwand suchen, mich wieder zu begrapschen“, fügte ich sarkastisch hinzu.
„Habe ich dich etwa begrapscht?“, fragte er aufrichtig überrascht, drückte mich fester an sich und flüsterte mir leise ins Ohr: „Liebling, ich habe noch nicht einmal angefangen, dich zu begrapschen, damit du es weißt. Sonst wären wir schon längst nicht mehr hier“, sagte er, während seine Hand unverschämt von meiner Taille über meinen Oberschenkel glitt.
Gut, dass meine Tasche zwischen uns ist!
Eine Rettung...
Sonst weiß ich gar nicht, wie ich reagiert hätte, wenn man bedenkt, dass mir allein von seinen Worten eine Gänsehaut über den Rücken lief. Allerdings schüttelte ich seine Hand von mir. Ziemlich unsanft.
„Nenn doch die Hafenprostituierte, die du dir aufgabelst, nachdem du mich in Ruhe gelassen hast, eine Schlampe“, sagte ich wütend und wich zur Seite.
Auf wen von uns beiden er wütender war, war noch fraglich. Mein Körper reagierte viel zu offen.
„Wozu brauche ich eine Hafenprostituierte, wenn ich dich habe?“, konterte der Mann und zog mich wieder zu sich heran.
Wie sich herausstellte, nicht aus manischen Gründen. Sonst wäre ich einfach wieder auf einen anderen Passagier losgegangen. An den hatte ich, wie ich mich erinnerte, längst vergessen.
„Du hast mich gerade eine Hure genannt?“, starrte ich den Fremden finster an.
„Das ist nur deine Schlussfolgerung“, zuckte er mit den Schultern und griff, ohne hinzuschauen, nach einer der ankommenden Taschen, die eine ähnliche Farbe hatte wie meine.
Ich folgte seinem breiten Rücken mit unverändert finsterem Blick.
Was zum Teufel hatte mich bloß dazu gebracht, mit ihm zu reden?
Unsinn...
Ich hatte ein unangenehmes Gefühl.
Und ich hatte auch ohne zweifelhafte Helden genug Ärger. Einer davon meldete sich buchstäblich in derselben Sekunde, als ich mich an die Realität erinnerte. Zusammen mit einem eingehenden Anruf.
„Wo steckst du, du undankbares Wesen?!“
Die schrille Stimme am anderen Ende der Leitung bohrte sich wie rostiger Draht in mein Gehirn. Meine Stiefmutter Jeanne war grundsätzlich nie besonders freundlich, aber heute war ihre Stimme besonders giftig.
„Ich bin noch nicht aus der Ankunftshalle herausgekommen. Der Flug hatte Verspätung. Ich habe gerade mein Gepäck bekommen“, antwortete ich. „Ich bin bald da.“
