Kapitel 1
Im frühen Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Vorhänge fielen, öffnete ich die Augen.
Mein Mann war schon weg, vermutlich bereits zur Arbeit gefahren.
Ich stand rasch auf, wusch mich und ging zum Markt, um all das Gemüse zu kaufen, dass er besonders gern aß.
Ich hatte vor, ihm am Nachmittag ein richtig gutes Essen zu kochen, wenn er zurückkam.
Gegen zehn Uhr war ich wieder zu Hause.
Es war Sommer, und ich war vom Weg komplett verschwitzt.
Kaum hatte ich mich gesetzt, bekam ich eine Whatsapp-Nachricht von meiner Erzfeindin Lucy Bennett.
[Image.jpg Charlotte Baker, ist das nicht dein besonders stattlicher Ehemann?]
Auf dem Foto umarmte ein Mann eine Frau von hinten.
Er trug Freizeitkleidung, und der Hintergrund wirkte elegant und hochwertig.
Ich erstarrte sofort, starrte lange auf das Bild, schließlich vergrößerte ich es mit zitternden Fingern.
Es war eindeutig genau das Outfit, dass ich ihm vor ein paar Tagen gekauft hatte.
Farbe, Schnitt, alles identisch.
Vor allem: Ich hatte es gestern extra auf seinen Nachttisch gelegt, damit er es nicht übersah.
[Wo ist das?]
Ich tippte mit zitternden Händen und schickte die Nachricht ab.
Kurz darauf rief Lucy Bennett mich direkt an.
"Charlotte, ist das wirklich dein Mann?"
Ihre Stimme triefte vor Schadenfreude.
Ich schluckte meine Wut hinunter und fragte so ruhig wie möglich:
"Wo hast du dieses Foto gemacht?"
"Ach, kein Wunder, dass er mir bekannt vorkam. Ich habe ihn ja schon in deinen Posts gesehen."
Lucy wich aus.
Ich verlor die Geduld.
"Lucy Bennett, wo wurde das aufgenommen?"
"Warum bist du denn so aggressiv?"
Lucys Ton wurde unzufrieden, doch sie fuhr fort:
"Na schön, weil du so erbärmlich klingst, ich sag’s dir. Das war in meinem Hotel, X Hotel.
Ich stand heute zufällig am Empfang und habe…"
"East-Guest-Road?
Ich komme sofort.
Eine halbe Stunde brauche ich.
Behalte sie im Auge."
Ich ließ sie gar nicht ausreden und legte direkt auf.
Ich schnappte meine Tasche, zog mir schnell Flip-Flops an und wollte schon los.
Doch an der Tür drehte ich wieder um, wusch mir das Gesicht, zog mich um und schminkte mich leicht.
Zehn Minuten später raste ich auf meinem Elektroroller Richtung East-Guest-Road.
Ich war mit meinem Mann Andrew White seit acht Jahren verheiratet, insgesamt zehn Jahre zusammen.
Wir waren Kommilitonen gewesen, hatten uns im zweiten Studienjahr kennengelernt und nach dem Abschluss sofort geheiratet.
Er hatte danach in einer Handelsfirma angefangen und sich bis zum Manager hochgearbeitet.
Drei Jahre nach der Hochzeit hatte Andrew plötzlich Magenprobleme bekommen, und auf Rat seiner Eltern kündigte ich meinen Job, um ihn zu Hause zu versorgen.
Er hatte damals lachend gesagt:
"Schatz, es ist so schön, dich zu Hause zu haben. Ich werde härter arbeiten, damit du dich nicht so abrackern mußt."
Seitdem war ich Vollzeit-Hausfrau.
Andrew verdiente gut, und unsere beiden Familien standen finanziell gut da.
Nur im ersten Jahr nach der Hochzeit, als wir unser Haus auf Kredit gekauft hatten, war es knapp gewesen, dadurch war ich sparsamer geworden.
Ich lebte minimalistisch, kaufte kaum Kleidung oder unnötige Dinge, benutzte nur einfache Pflegeprodukte, trug meist Turnschuhe oder Stoffschuhe und eine Handtasche für ein paar hundert Euro.
Selbst als Andrew mir ein Auto kaufen wollte, lehnte ich ab, ich ging ja kaum raus.
Das einzige, wofür ich wirklich Geld ausgab, war das Besuchen verschiedener Krankenhäuser.
Denn trotz all der Jahre Ehe war ich nie schwanger geworden.
Fünf Jahre vergingen so.
Heute war mein dreißigster Geburtstag, und er fiel zufällig auf ein Wochenende.
Wir wollten zusammen ins Kino gehen und ein bisschen bummeln.
Doch gestern Abend war Andrew heimgekommen und hatte gesagt, ein wichtiger Kunde komme in die Firma, er müsse Überstunden machen und könne nicht frei nehmen.
Er versprach mir dafür, am Abend sofort heimzukommen und mir eine große Torte mitzubringen.
Ich hatte nur nicken können.
Während ich fuhr, gedachte ich an das Foto und an all die Jahre, und die Tränen liefen unaufhaltsam.
Mein Make-up war sofort ruiniert.
Wenn Pech kommt, dann alles auf einmal, sogar kaltes Wasser verursacht Zahnweh.
Also war es fast logisch, dass genau jetzt mein Elektroroller einen Platten bekam.
Der Vorderreifen war völlig leer.
Ich war komplett entmutigt.
Vor zwei Jahren hatte Andrew mir ein kleines Haus mit Garten in den Vororten gekauft, weil ich so gern gärtnere.
Alles war wunderbar, abgesehen davon, dass es eine halbe Stunde von der Stadt weg lag.
Und jetzt stand ich mitten auf der Strecke fest.
Ich öffnete eine Taxi-App, niemand nahm meinen Auftrag an.
Ich konnte nur hoffen, dass irgendein Auto vorbeikäme.
Es war elf Uhr, die Sonne brannte gnadenlos.
Trotz Sonnenhut war ich durchnäßt von Schweiß.
Verdammt, kein einziges Auto.
Endlich, ein Auto tauchte auf!
Ich sprang fast vor Freude auf und winkte heftig.
Der Wagen quietschte und hielt an.
Dann sah ich, es war ein Polizeiauto.
Ich war nervös; ich war immer gesetzestreu gewesen.
Aber mit kaputtem Roller und Andrew im Hotel blieb mir keine Wahl.
Das Fenster ging herunter, ein junges, attraktives Gesicht schaute mich an.
Ich erstarrte kurz, presste die Hände zusammen und stammelte:
"Mein Roller ist kaputt…"
Der Polizist auf dem Fahrersitz runzelte die Stirn.
"Dame, wenn der Roller kaputt ist, rufen Sie den Reparaturdienst oder bitten Sie Familie und Freunde um Hilfe."
Mir wurde heiß vor Scham.
Vielleicht war das wirklich keine gute Idee.
Ich murmelte errötend:
"Ich erreiche niemanden, und kein Taxi nimmt mich.
Könntet ihr mich bitte in die Stadt mitnehmen?"
Seine Stirn legte sich noch tiefer in Falten.
"Fräulein, wir haben Dienst…"
Meinte er, dass ich sie bei der Arbeit störe?
Ich wollte schon zurückweichen, doch unter der brennenden Sonne und nach zwanzig Minuten Wartezeit biss ich die Zähne zusammen, klammerte mich an das Fenster und sagte:
"Ich habe etwas Dringendes, bitte helft mir. Ihr seid die Polizei, ihr müßt Menschen in Not helfen."
"Ach, bedrohst du uns jetzt?"
Der Polizist lachte überrascht.
Ich lief rot an, doch ich blieb hartnäckig:
"Bitte, es kostet euch kaum Zeit. Ich muß in die Stadt. Es ist wirklich dringend. Ich bezahle auch für die Fahrt."
"Bist du …"
"Steig ein."
Der junge, hübsche Beamte unterbrach seinen Kollegen.
Vor Freude hätte ich fast geweint.
Ich riss sofort die Autotür auf und stieg ein.
