Kapitel 1
. Kapitel 1: Die Maske und die Mission
Im Raum stank es wie immer nach Rauch und billigem Whiskey. Die Stille war so schwer, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, wäre da nicht das eindringliche Ticken der Uhr an der heruntergekommenen Wand gewesen. Ich saß Jonas, meinem „Chef“, gegenüber und hielt seinem Blick stand, ohne zu blinzeln.
– „Weißt du, warum du hier bist, Nina?“ fragte er mit tiefer Stimme, die wie eine Warnung klang.
Ich nickte, die Finger umklammerten die Armlehne des Stuhls. Jonas war nicht der Typ, der seine Zeit mit Nettigkeiten verschwendete. Ich übrigens auch nicht.
– „Eine neue Mission?“ Ich flüsterte.
Er lächelte verzerrt, was ihn sowohl faszinierend als auch beängstigend machte. Seine pechschwarzen Augen richteten sich auf mich, als er mir einen dicken Ordner zuschob.
– „Nicht irgendeine Mission.“ Er hielt inne und seine Worte dehnten sich langsam aus. „Samuel Moretti. Ein viel größerer Fisch als sonst. Und viel reicher.“
Unter seinem eindringlichen Blick entfaltete ich die Akte. Fotos fielen auf den Tisch: Moretti, ein gut gekleideter Fünfzigjähriger, mit meisterhaft gestylten grauen Haaren, dem fleischfressenden Lächeln von Menschen, die glauben, sie hätten alles gewonnen.
– „Was verbirgt er?“ Ich fragte, während mein Blick auf eines der Fotos gerichtet war, auf denen er bei einem luxuriösen Empfang die Hand schüttelte.
– „Alles, was man sich vorstellen kann: Bargeld, Schmuck, kompromittierende Informationen. Der Typ ist paranoid, aber er mag den Schein.“ Jonas tippte nervös mit den Fingerspitzen auf die Tischoberfläche. „Morgen Abend veranstaltet er einen privaten Empfang in seinem Haus. Sie müssen sein Büro betreten, bezaubern und sich Zutritt verschaffen. Du musst diese Truhe finden und uns etwas Wertvolles zurückbringen.“
Ich sah zu ihm auf. Jonas lachte nie, aber heute Abend schien ein Funke Misstrauen in seinen Schülern aufzuleuchten.
– „Was ist, wenn er mich verbrennt?“ Sagte ich provokativ.
Sein Blick wurde sofort härter.
— „Nina, du wirst dich nicht verbrennen. Du bist die Beste für so einen Job. Aber ich sage dir ganz klar: Du versagst, du bist allein. Verstanden?“
Ich schwieg, bevor ich grinste.
– „Ich versage nie, Jonas.“
Eine fast glaubwürdige Lüge.
Zurück in meinem schäbigen Loft schwang ich meine Absätze über die abgenutzten Holzböden und ließ die Akte auf mein ungemachtes Bett fallen. Moretti. Nur ein weiteres Gesicht in einer langen Liste von Männern, die ich getäuscht, manipuliert und ausgeraubt hatte. Allerdings war diese Mission gefährlich.
Ich stand auf und kramte in meinem Kleiderschrank nach dem perfekten Outfit. Für eine private Party in der Villa eines Milliardärs brauchte ich etwas Bemerkenswertes, aber Strategisches. Ein purpurrotes Kleid fiel mir ins Auge: seitlich geschlitzt, eng, gerade so weit, dass Morettis Augen nur mich sahen.
– „Perfekt“, murmelte ich vor dem Spiegel.
Ich setzte mich an meinen Schminktisch, einen kleinen Tisch, der mit Make-up, falschen Wimpern und billigem Parfüm bedeckt war. Ich habe versucht, den Künstler zu spielen: rauchige Augen für einen tödlichen Blick, ein scharlachroter Mund, der sowohl Versuchung als auch Gefahr schrie. Als ich aufstand, erschien mir in meinem Spiegelbild das Bild einer anderen Person. Nicht Nina, sondern die, zu der ich wurde, als das Spiel begann.
Ich schnappte mir eine kleine schwarze Pistole, leicht wie eine Feder, und schob sie unter mein Strumpfband. Immer bereit. Immer bewaffnet. Sicherheit war bei dieser Art von Mission nur ein Mythos.
Ich holte tief Luft und warf einen letzten Blick in den Spiegel.
– „Komm schon, Nina, du hast Schlimmeres gesehen.“
Das Herrenhaus war mitten in der Nacht erleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Teure Autos säumten die kopfsteingepflasterte Auffahrt, während sich unter den Glastüren eine elegante Menschenmenge drängte. Als ich vor dieser Szene stand, lief mir ein Schauer über den Rücken. Keine Angst. Der Konzentration.
Als ich aus dem Taxi stieg, hörte ich das Klicken meiner Absätze auf dem nassen Boden. Das rote Kleid umspielte meine Beine, als ich zur Tür ging.
Ein imposant aussehender Wachmann versperrte mir den Weg.
- "Name ?" er bellte.
Ich holte eine perfekt gefälschte Einladungskarte heraus und überreichte sie mit einem engelsgleichen Lächeln.
– „Jade Delacroix. Ich werde erwartet.“
Der Mann runzelte die Stirn, blickte auf die Karte und warf mir dann einen letzten Blick zu, bevor er wegging.
– „Komm durch.“
Im Hauptraum war die Atmosphäre unwirklich. Kristallkronleuchter funkelten von der Decke, klassische Musik vibrierte sanft in der Luft und Kellner gingen mit mit Champagner beladenen Silbertabletts zwischen den Gästen hin und her.
Ich bewegte mich durch die Menge hindurch und ließ zu, dass die Leute mich ansahen. Die Männer im Smoking sahen mich mit dem gespannten Blick an, der mir vertraut war. Perfekt. Ich war nur eine weitere Ablenkung in einer Welt voller Täuschungen.
Dann habe ich es gesehen. Samuel Moretti steht im Kreis von Männern in Anzügen. Er lachte zu heftig, die Art von Lachen, die seine Arroganz verbarg. Sein Glas Champagner in der Hand schien er unantastbar zu sein. Ich holte tief Luft und begann mich zu bewegen.
Doch als ich näher kam, geschah etwas Unerwartetes. Ein weiterer Blick fiel mir auf.
Kalt. Intensiv. Ein Blick, der mich wie ein Messer durchbohrte. Es war nicht Moretti. NEIN. Dieser Mann saß weiter weg im Hintergrund, als würde er den gesamten Raum beobachten. Sein dunkler, fast bedrohlicher Anzug und sein ruhiges Auftreten standen im Widerspruch zur Extravaganz um ihn herum.
Ich spürte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte. Wer war er? Warum hatte ich das Gefühl, als hätte er gerade über meine Maske hinweggesehen?
Ich tat so, als würde ich ihn ignorieren und setzte meinen Weg fort. Aber eines war sicher: Dieser Abend war einfach viel komplizierter geworden.
Ich ging mit berechnetem Schritt auf Samuel Moretti zu, den Kopf hoch erhoben und mein Lächeln subtil gezeichnet. Die Art von Lächeln, die Neugier weckt. Er bemerkte mich sofort, wie ich erwartet hatte. Der Blick eines Mannes wie Moretti konnte ein geschlitztes rotes Kleid und einen so selbstbewussten Gang nicht ignorieren.
– „Meine Damen und Herren, Raubtiere tappen immer in die Falle, die sie nicht kommen sehen.“
Er hielt mitten im Gespräch inne und sah zu mir auf, als wäre der Rest der Welt verschwunden. Seine Gefährten folgten seinem Blick, aber ich ließ ihn nicht aus den Augen.
– „Guten Abend, meine Herren“, flüsterte ich und schlüpfte neben ihn. Meine Stimme war sanft, meine Worte sorgfältig bedacht. „Ich glaube, ich bin verloren…“
Moretti zog eine Augenbraue hoch, ein amüsiertes Lächeln spielte auf seinen Lippen.
– „Verloren? In einem Raum voller Gäste?“
– „Sagen wir einfach, ich suche … gute Gesellschaft.“
Er lacht leise, mit dem Lachen eines zufriedenen Hais. Ich wusste, dass ich seine Aufmerksamkeit hatte. Das war schon immer so: Reiche und mächtige Männer glaubten gerne, dass sie auserwählt waren. Dass sie etwas Besonderes waren.
– „Und du bist?“ fragte er, seine Stimme war ebenso seidig wie gefährlich.
Ich streckte ihm eine zarte Hand hin.
— „Jade Delacroix. Ein Freund eines Gastes. Aber ich muss zugeben, dass mir furchtbar langweilig war. Bis jetzt.“
Er küsste meine Hand mit seinen Lippen, eine altmodische Höflichkeit, die mich fast zum Lächeln brachte.
– „Samuel Moretti. Du bist am richtigen Ort, Jade.“
– „Ich bezweifle es nicht“, antwortete ich mit warmer Stimme. Ich trat etwas näher heran und schnappte mir ein Glas Champagner, das auf einem Tablett stand. „Sag mir, Samuel… Du scheinst ein Mann zu sein, der große Geheimnisse verbirgt.“
Er runzelte leicht die Stirn, amüsiert und fasziniert.
– „Der Schein trügt, meine Liebe. Und was verbirgst du hinter diesem Blick?“
Ich lache leicht, ein Klang, der so ausführlich ist wie der Rest meiner Tarnung.
– „Gedanken, die Sie unbedingt entdecken würden.“
Er verschlang mich mit seinen Augen, Gefangener des Spiels, das ich perfekt beherrschte. Nach ein paar Minuten des Austauschs, bei denen jedes Wort eine subtil gezogene Schnur war, neigte er schließlich den Kopf, seine Pupillen leuchteten.
– „Du bist faszinierend, Jade. Und ich mag Krimis wirklich …“
Seine Stimme wurde leiser.
– „Wie wäre es mit einem Drink an einem etwas … intimeren Ort?“
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Bingo.
– „Ich folge dir, Samuel“, flüsterte ich.
Samuel führte mich durch reich verzierte Korridore, seine Schritte hallten schwer auf den Holzböden wider. Jeder Meter, den ich zurücklegte, erinnerte mich daran, worum es ging: Es war ein großer Fisch, und ich schwamm im offenen Meer.
Der Raum war genauso prächtig wie der Rest des Herrenhauses: mit Samt ausgekleidete Wände, ein Kingsize-Bett mit Seidenlaken und ein Bücherregal voller Bücher, von denen ich bezweifelte, dass er sie gelesen hatte.
– „Setzen Sie sich“, forderte er mich auf und zeigte auf einen Ledersessel neben einer kleinen Bar. „Ein Getränk?“
– „Mit Vergnügen“, antwortete ich, meine Stimme war trotz des Sturms, der sich in mir zusammenbraute, völlig ruhig.
Ich sah zu, wie er den Whisky vorsichtig einschenkte. Als ich sicher war, dass er ihm den Rücken zuwandte, holte ich diskret das kleine Fläschchen heraus, das im Futter meines Beutels versteckt war. Ein Tropfen farbloser Flüssigkeit rutschte in sein Glas, als ich die Gelegenheit hatte, unsere Gläser diskret auszutauschen.
Er drehte sich mit einem zufriedenen Lächeln um und hielt mir das Glas entgegen.
– „Zur Schönheit der Geheimnisse.“
Ich hob meines mit einem provokanten Lächeln.
– „Und denen, die wissen, wie man sie durchdringt.“
Wir haben angestoßen. Er trank, und ich tat so, als ob ich trank, und beobachtete jede Sekunde. Ein paar Minuten später neigte er den Kopf leicht nach hinten und seine Atmung verlangsamte sich. Die Schlaftablette hatte Wirkung gezeigt.
– „Tut mir leid, Samuel“, flüsterte ich und stellte mein unberührtes Glas auf den Tisch.
Ich machte mich schnell an die Arbeit. Jonas hatte mir beigebracht, wie man effizient sucht, ohne Spuren zu hinterlassen. Zuerst habe ich die Truhe gefunden: versteckt hinter einem klassischen Gemälde. Ein elektronischer Code. Natürlich.
Meine Finger zitterten leicht, als ich meine Lockpicking-Ausrüstung hervorholte: ein kleines elektronisches Werkzeug, mit dem sich Codes innerhalb weniger Minuten erzwingen lassen. Jeder Piepton des Geräts schien in die Stille des Raumes zu schreien.
– „Komm schon, komm schon…“, flüsterte ich durch meine Zähne.
Nach ein paar Sekunden ertönte ein dezentes *Klick*. Der Kofferraum öffnete sich. Beim Anblick des Inhalts stockte mir der Atem: Bündel ordentlich gestapelter Geldscheine, Uhren mit goldenen Akzenten und mit Edelsteinen besetzter Schmuck. Ein Miniaturvermögen.
Meine Hände waren damit beschäftigt, alles in die Tasche zu werfen, die ich unter meinem Kleid versteckt hatte. Jeder verrutschte Gegenstand erinnerte mich daran, warum ich dort war. Warum ich nicht scheitern durfte.
Aber die Angst packte mich. Jedes Geräusch in der Villa, jedes Knarren des Holzes ließ mich zusammenzucken. Was wäre, wenn jemand hereinkäme? Was wäre, wenn Samuel aufwachen würde?
– „Atme, Nina. Du hast es immer überstanden“, flüsterte ich, um mich zu beruhigen.
Mein Hals war trocken, meine Handflächen schwitzten, aber ich machte weiter, bis der Kofferraum geleert war.
Als ich den Kofferraum schloss und das Gemälde wieder an seinen Platz brachte, nahm ich mir einen Moment Zeit, um tief durchzuatmen. Mein Herz schlug so heftig, dass es schien, als könnte man es in der ganzen Villa hören.
Ich warf einen letzten Blick auf Samuel, der tief und fest im Sessel schlief. Eine Mischung aus Schuldgefühlen und Triumph überkommt mich.
– „Noch eine Lüge.“
Ich zog mein Kleid wieder an, schnappte mir meine Tasche und verließ schweigend den Raum. Doch als ich wegging, kam mir ein flüchtiger Gedanke in den Sinn:
„Was wäre, wenn der Wolf dieses Mal nicht so schlafen würde, wie ich dachte?“
