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Kapitel 1

Ich schaute aus dem Fenster, weite Felder, grüne Wiesen und vereinzelte, einsame Bäume rauschten vorbei, während das Auto mit hoher Geschwindigkeit auf der Straße entlangsauste. Abwesend knetete ich meine Hände in meinem Schoß, während ein Ortsschild am Rand auftauchte. Gleich würden wir da sein. Die Angst legte sich wie ein Stein in meinen Magen.

"Alles in Ordnung Liebes?" erklang die sanfte Stimme meines Vaters und ich riss meinen Blick von den Häuserreihen los, zwang ein Lächeln auf meine Lippen. "Alles in Ordnung, bin nur ein bisschen nervös und aufgeregt" gestand ich und wickelte mir eine Strähne um den Finger, die vom Licht beschienen goldbraun aufleuchtete. Der Blick meines Vaters wurde noch weicher und er streckte von dem Beifahrersitz aus eine blasse Hand nach mir aus. "Ich weiß. Aber denk dran, du kannst jederzeit nachhause kommen, es ist deine Entscheidung" erwiderte er nachdrücklich, seine grünen Augen blickten traurig. "Du bist erst elf, es wäre nichts schlimmes", doch ich schüttelte nur meinen Kopf, die Lippen zusammengepresst. "Ich weiß Dad, aber ich will es versuchen" blieb ich bei meiner Entscheidung. Dieser nickte, Licht verfing sich in seinen tintenschwarzen Haaren als er sich wieder nach vorne drehte und den Radiosender wechselte. Meine Mutter summte vor sich hin, ganz auf die Fahrt konzentriert. Von meinem Platz auf der Rückbank aus konnte ich ihr rotes Blümchenkleid sehen, ein starker Kontrast zu den dunklen Haaren und der bleichen Haut. Noch bleicher als die meines Dads. Doch was mich schaudern ließ und mir Übelkeit verursachte, waren die drei dicken, krallenförmigen Narben, die sich über ihren gesamten, rechten Oberarm erstreckten. Noch immer waren sie leicht gerötet, aber die Verletzung war auch erst drei Wochen alt. Und sie würde wahrscheinlich nie ganz verschwinden. Hastig drehte ich meinem Kopf weg und bohrte mir die Fingernägel in die Handfläche. Es war gut das ich ging, so waren sie wenigstens vor mir sicher. Ich würde erst zurückkehren, wenn ich mich unter Kontrolle hätte, vorher nicht. Denn diese Sache vor drei Wochen... die würde ich niemals vergessen. Nie. Trotzdem konnte ich auch nicht den schmerzhaften Stich unterdrücken, wenn ich an meine beste Freundin Karla dachte. Sie war immer noch sauer auf mich. Was ich auch verstehen konnte, wäre sie es gewesen die eine Woche vor der Einschulung plötzlich an eine andere Schule wechselt, und nicht nur an eine Schule, sondern ein Internat, hätte ich wahrscheinlich nie wieder ein Wort mit ihr gesprochen. Dennoch vermisste ich sie jetzt schon, genau wie meine Eltern, mein Zuhause. Ich bemerkte erst, dass wir standen, als die Tür der Fahrerseite sich öffnete und meine Mutter ausstieg. Nervös schaute ich mich um, wir parkten neben einer Parkbucht, an derer Seite ein hölzernes Bushäuschen stand. Davor wartete bereits ein dunkelblauer Baus, dessen Motor bereits lief. Nur vereinzelt sah man Kinder draußen rumflitzen, ansonsten sah man durch die getönten Scheiben nur vage Gestalten. Mit einem Schlag kehrte die Panik zurück und ich wollte mich nicht bewegen. Keinen Schritt aus diesem vertrauten, nach Leder riechenden Auto machen, nur um mich einer komplett neuen Welt zu stellen. Die Tür auf meiner Seite ging auf, warme, blaue Augen schauten mich an. "Akemi, wir sind da" meinte Mom mit einem Schmunzeln, ich wimmerte nur und schaute mit aufgerissenen Augen nach draußen. "Das sind so viele" hauchte ich überrumpelt und zitterte leicht. Als Antwort strich mir Mom über den Kopf und murmelte beruhigende Worte. "Es mögen viele sein, aber du musst dich nicht fürchten. Finde ein, zwei gute Freunde und du wirst merken, dir wird egal sein wie viele noch herumlaufen. Du wirst dich weniger fürchten, denn du wirst wissen, dass es Menschen gibt, die an deiner Seite stehen. Die gerne Zeit mit dir verbringen. Also komm, versuch es. Ich muss dir ja nicht sagen, dass wir dich schneller zurückholen werden, als du gucken kannst, solltest du es wollen" fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu. Ihre Worte hatten mich so weit beruhigt, dass ich nicken konnte und meine kurzen Beine rausschwingen. Auf dem Bürgersteig landend schlug ich die Tür zu und trottete mit Mama zum Kofferraum, wo Dad bereits stand und meinen lila Rollkoffer zusammen mit der Reisetasche herausholte und abstellte. Dann schaute er sich suchend um, seine hellgrünen Augen leuchteten und blieben bei einem älteren Mann stehen, der neben dem Bus stand. "Kommt, vielleicht ist das einer der Busbegleiter" sagte er und nahm mein Gepäck. Langsam ging ich auf den laufenden Bus zu und griff nach der Hand meiner Mutter, die mit einem aufmunternden Lächeln zu mir schaute. Kurz darauf standen wir vor dem Mann mit dem ergrauten Haar, der uns freundlich lächelnd entgegenblickte. "Kann ich ihnen helfen?" fragte er und warf einen Blick auf den Bus. Mein Vater räusperte sich mit einem höflichen Lächeln, dass seine Zähne zeigte. "Gehören sie zu den Lehrern der St. Wolfram? Unsere Tochter geht dort nämlich zur Schule und ich vermute mal das ist der Bus, der sie ins Internat bringt", der Mann schüttelte lachend den Kopf. Er hatte ein kratzendes Lachen, dass mich an das schaben von Holz auf Metall erinnerte. "Nein, Nein, ich bin nur der Busfahrer. Aber ja, dass ist der Bus für die St. Wolfram" erklärte er und zeigte zur offenen Bustür. "Ich kann das Gepäck gerne noch verstauen, sie wollen bestimmt noch einmal mit den busbegleitenden Lehrern sprechen" bot er mit einem verständnisvollem Blick an. Meine Eltern atmeten auf und mit einem Danke übergab er dem Fahrer meinen Trolley. Danach drehten wir uns zu dem Bus um und blieben vor der Tür stehen. Im nächsten Moment tauchte auch schon eine große, schlanke Frau auf und sprang auf den Boden. Mit aufgerissenen Augen schaute ich zu ihr hoch und musste blinzeln. Sie war wunderschön, ihre weißblonden Haare glänzten und das funkeln in den braunen Augen, die mich an Karamell erinnerte, ließ sie sofort sympathisch wirken. "Sie müssen die Andersons sein. Ich habe schon gewartet, wir wollten schon fast ohne sie los" begrüßte sie uns mit einem Lachen "Ich bin Samantha Gray". Meine Mutter schüttelte der Lehrerin die Hand, gefolgt von meinem Vater. Ich blieb schüchtern ein Stück hinter ihnen stehen. Als sie mich anschaute stockte mir der Atem, doch ich erwiderte ihren Blick schüchtern. Wie es wohl in ihrem Unterricht sein würde? Hoffentlich würde ich sie überhaupt haben, war mein Gedanke als sie sich runterbeugte um mich zu begrüßen.

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