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Ultimatum

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cobracaliber57
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Zusammenfassung

Von einer idllylischen Stadt im Uralgebirge verschiebt sich ihr Leben über eine einzige Nacht in die rasende Hauptstadt Russlands. Inmitten von Oligarchen, Intrigen und korrupten Politikern bahnt sich Leandra Vorobjowa ihren Weg an die Spitze. Doch eine einzige Entscheidung bringt sie in die Hände derjenigen, vor denen ihre Mutter sie vor über 15 Jahren gewarnt hatte. Ohne dabei ihren Staat zu verraten muss sie machtlos und entwaffnet ein Dilemma lösen. Wie kann die junge Ministerin ein Ultimatum erfüllen und dabei ihren eigenen Prinzipien treu bleiben? Eins steht fest - Liebe kann man nicht kaufen. Außer man ist ein Scheich...

One-Night-StandkriegrächenVerratMillionärAnführerinBesitzergreifendEifersuchtRealität

Kapitel 1

5.März, 20:37 Moskau:

Die Lichter der Autos, die uns entgegenkamen, wurden auf dem neuen Asphalt widergespiegelt. Sie blendeten mich und ich schloss für wenige Sekunden meine Augen. Ein kalter Windzug aus dem leicht heruntergekurbelten Fenster ließ mich wieder meinen gesamten Körper anspannen und mich aufrechter hinsetzen.

Durch das Hupen eines Fahrzeugs in der Ferne wurde ich schlagartig in eine Zeit befördert, die es heute nicht mehr gab. Jede Erinnerung an die Menschen, die damals an meiner Seite gestanden waren, erschien blass vor meinen Augen. Die Vorstellung daran jetzt mit ihnen zu sein und einen Feldweg entlang zu fahren, war weit entfernt. So weit, als ob sie niemals existiert hätte.

Das Auto hielt an einer Ampel an. Mein Tagtraum wurde in meinem Unterbewusstsein fortgesetzt. Ein schwacher Strahl davon durchdrang meine Wahrnehmung. In diesem saß ich immer noch in dem SUV und lachte herzhaft über etwas, was sie, dieses eine Mädchen, was mein ständiger Wegbegleiter war, mir gesagt hatte. Doch dann war sie wieder weg.

Es wurde Grün. Wir fuhren weiter. Immer weiter weg von meiner Vergangenheit. Es gab keinen Feldweg mehr, keine warmen Sonnenstrahlen, keine Umarmungen. Alles war verblasst. Aber was war übrig geblieben? Von meiner Familie, meinen Freunden, meiner ersten Beziehung? Hatte zumindest die Liebe überlebt? Doch was war Liebe überhaupt? Meine Nägel hämmerten auf das Armaturenbrett. Ich lehnte mich wieder zurück und seufzte. An was konnte man sich festhalten, wenn die Zeit schneller rannte als man folgen konnte? Irgendwo, dort draußen, waren sie doch noch immer. Jeden einzelnen Abend, wenn sie gemeinsam saßen und an den vergangenen Tag dachten, fiel mein Name. Sie wussten nicht, wie es mir ging, wo ich gerade war und was mich jede einzelne Nacht wach hielt.

Und jeden Morgen, wenn sie die Jalousien öffneten und die Sonne, welche kaum über dem Horizont stand, betrachteten, fragten sie sich, ob ich auch schon wach war, ob ich ein gutes Frühstück gehabt hatte und, ob ich in der Nacht tief genug geschlafen hatte. Sie kannten mich viel zu gut. Über 23 lange Jahre waren sie an meiner Seite gewesen, hatten alle meine Träume ausnahmslos unterstützt, mich stets an der Hand gehalten, wenn der Weg mal wieder wackelig geworden war. Und jetzt war ich hier. Alleine. Ohne meiner Familie. Ohne meinen Eltern, die ihre ganze Liebe in mich investiert hatten. Ohne meinen zwei Schwestern, einer jüngeren und einer älteren, die weitaus mehr als nur Verwandte - sondern meine Psychologen und Freundinnen gleichzeitig. Ohne meinem Bruder, der unser Haus zu einem weitaus lustigeren Ort gemacht hatte.

Ohne meiner besten Freundin, die stets betont hatte: »Leandra, egal, wo wir hingehen, wir werden es gemeinsam tun. Wenn du nach New York auswanderst, dann komme ich mit dir. Wenn du dich entscheidest in Europa zu studieren bin ich bei dir. Wenn du zum Mond fliegst, dann rate mal was, bin ich auch an deiner Seite, darauf kannst du dich verlassen.»

Niemals hatte ich daran gezweifelt, dass es so sein würde. Aber sie war nicht mitgekommen. Niemand hatte mich begleitet. Und jetzt saß ich hier. Alleine wie noch nie. Aufgewachsen in einem sehr engen Umkreis am gemütlichen Rand einer russischen Großstadt war ich es gewohnt stets von ihnen umgeben zu sein. Meiner Familie, meinen Freunden, meinen Klassenkameraden. Aber es war die Vergangenheit. Es war nun aus. Nichts und niemand konnte mich dort wieder zurückbringen. Keine sanften «Lea» von meiner Großmutter, wenn das Liebesleben mal wieder nicht so lief, wie es sollte.

Keine selbstgemachten Haferkekse meiner Mutter. Und keine Anfälle meines Lehrers, wenn Nastja es mal wieder geschafft hatte, mich abzulenken. Ich seufzte erneut als wir auf eine Straße bogen, die mich an diesen einen Trip mit meiner Klasse erinnerte. Wie konnte ich diese Erinnerungen verdrängen, wenn sie mich verfolgten?

«Leandra, bist du in Ordnung?», diese raue Stimme war die Realität. Er war die Realität. Ich riss meinen Blick von der Straße und wandte mein Gesicht in seine Richtung. Seine Augen trafen meine und trieben das erste Lächeln seit Stunden auf meine Lippen.

«Ja, Vasily, es ist alles in Ordnung», meine eigene Stimme hörte sich fremd an.

«Ich weiß, wann du lügst. Es ist mein verdammter Job es zu wissen.»

Seine grünen Augen waren nun wieder auf die Straße gerichtet.

Es hatte keinen Sinn zu leugnen, dass ich mir darüber Sorgen machte, was meine Familie gerade tat, wie es ihr ging. Ob sie das, was ich gerade getan hatte, billigen würden.

«Es ist das Übliche, du weißt es, Vasily.»

Bei meinen Worten ließ er eine Hand von dem Lenkrad gleiten und fuhr mit ihr über meinen Oberschenkel. Ein Versuch mich von meinen Sorgen abzulenken.

«Warum schreibst du ihnen nicht, wenn du wissen willst, was sie machen?»

Das war eine Frage, die wir jedes Mal diskutierten, aber niemals zu einem Entschluss kamen.

Ich wollte nicht, dass sie wussten, was ich tat. Wie ich nur mit wenigen Worten die Realität von so vielen Menschen beeinflusste. Wie ich zwischen den mächtigsten Oligarchen von ganze Russland saß und über Ölpreise diskutierte. Das war nicht mein Platz. Es war nicht meine Bestimmung hier zu sein. An der Spitze einer riesigen Macht.

Meine Klassenlehrerin hatte einmal gesagt: »Lea, es gibt Leute, die sind dafür bestimmt, berühmt oder erfolgreich zu werden, aber du schau einfach, dass du glücklich wirst, ein ruhiges Leben an der Seite deiner Liebsten führst, an das du dich gerne zurückerinnerst. Mach deinen Schulabschluss, studiere in Moskau, bekomme einen Job, der dich und deine zukünftige Familie durch das Leben führt und genieße einfach den gesamten Vorgang. Aber strebe nicht nach etwas Unerreichbaren. Akzeptiere die Realität. Erst dann wirst du jeden Abend mit einem Lächeln ins Bett gehen können.»

Dass ich kurz nach meinem Abschluss plötzlich hier landen würde, hatte sie wohl bei ihrer philosophischen Rede nicht miteinbezogen. Aber man dachte, wenn man seine Schüler ansprach, sicherlich nicht daran, dass sie eines Tages den Oberbefehl über die gesamte Armee von Russland haben würden. Das konnte ich ihr nicht übel nehmen.

Ich verdrehte meine Augen und erntete dafür ein Grinsen meines Generals.

«Damit ich ihnen erzählen kann, dass ich gerade den Ölpreis dermaßen in die Höhe getrieben habe, dass sie jetzt erstmal ein Monat mit dem Fahrrad fahren und den Kia SUV in der Garage stehen lassen sollen, nur weil ich der Meinung bin, dass Russland dringend neue Helikopter braucht?» witzelte ich mit bitterer Stimme.

Vasily bremste ohne jeglicher Vorwarnung ab und hielt am Straßenrand im Gebüsch.

«Was wird das, Titarenko? Bist du auch der Meinung, dass man mich besser loswerden sollte?»

Unwillkürlich spannte ich mich an.

«Nein, aber ich will, dass du jetzt dein verdammtes Handy in die Hand nimmst und deine Mutter anrufst und sie fragst, wie es ihr geht. Oder Nastja, oder dein Großmutter, ist mir alles egal, aber du rufst jetzt jemanden an und redest mit ihnen. Kein Mensch kann jetzt, eine Stunde nach der Generalversammlung, wissen, was mit den Ölpreisen los ist. So schnell geht es nicht.»

Als ich mich trotzdem nicht rührte, griff er in meine Manteltasche, zog es hinaus und drückte es mir in die Hand.

«Jetzt!», seine Stimme hörte sich an, als ob er mit einem Bataillon Soldaten sprechen würde.

«Soll ich vielleicht noch drei Liegestütze machen und danach eine Runde marschieren?»

Bei diesen Worten, war nun er an der Reihe zu seufzen. Schließlich entsperrte er mein Handy und drückte auf die Nummer meiner Mutter.

«Viel Spaß!»

Er reichte mir das Handy mit überzeugter Miene, als ob er gerade eine Schlacht gewonnen hatte.

Nun gab es keinen Ausweg mehr. Niemals würde ich behaupten, ich hätte mich vertippt, oder gar einfach auflegen.

«Lea!», die fröhliche Stimme meiner Mutter liess mich zusammenzucken, «endlich meldest du dich! Erzähl mir, wie geht es dir?!»

«Es ist alles in Ordnung. Bei euch?», ich konnte und wolte einfach keine Euphorie aufbringen.

«Das ist schön, bei uns ist auch alles super. Lena hat gerade ihren Freund zum Abendessen mitgebracht!»

Lena war meine zwei Jahre jüngere Schwester. Dass sie nun einen Freund hatte, war eine Neuigkeit für mich.

In der Zwischenzeit hatte Vasily den Mercedes wieder gestartet und fuhr diesselbe Straße entlang, in den strahlenden Sonnenuntergang hinein.

«Sie hat einen Freund?!», wunderte ich mich.

Meine Mutter lachte herzhaft: »Ja, stell dir vor! Aber er ist wirklich ein netter Typ, bei dem habe ich keine Bedenken, dass er sie zu etwas Unanständigem verleitet. Aber sag mal, wann kommst du wieder zu Besuch? Du musst ihn unbedingt kennenlernen! Ansonsten kennt ihn schon die ganze Familie. Ah ja, Lena grüßt dich gerade!»

«Wo ist Papa?»

Ich konnte doch nicht erklären, dass Besuche für mich nicht so leicht funktionierten, wie für sie oder ihre Freundinnen, mit denen sie sich mehrmals pro Woche traf.

«Tanken, du weißt ja, Sonntagabend, da sind die Preise für Benzin und Diesel am niedrigsten. Kommst du eh gut mit der Ausbildung mit? Wird das Distancelearning nicht zu viel für dich?»

Ölpreise waren das Letzte, was ich jetzt besprechen wollte und meinen Hochschulabschluss genauso.

«Ja, es ist alles in Ordnung. Falls du mir nicht glaubst, dann rede doch mit Nastja oder so!»

Meine Stimme hörte sich schärfer an als ich geplant hatte. Sogar Vasily atmete hörbar geschockt ein.

«Lea, doch kein Grund sich aufzuregen! Aber erzähl doch, was du jetzt machst. Ahja, Nastja hat gefragt, ob du zu ihrem Geburtstag kommst. Sie traut sich nicht zu fragen, weil du ihr kaum antwortest», sie klang nun traurig.

Wie jedes verdammte Mal, wenn wie ein Gespräch führten. Warum konnte ich nicht wie eine normale Tochter agieren?

«Wie fahren gerade nach Hause», ich biss mir in die Zunge, wie sehr musste es ihr wehtun zu hören, dass ich einen Ort, wo nicht sie und meine Geschwister waren, als zuhause bezeichnete, «und das ist nicht so einfach.»

«Wer ist wir und warum ist das nicht einfach?»

Warum konnte Vasily nicht verstehen, dass genau das der Grund war, warum ich nicht mit ihr reden wollte? Ich warf ihm einen anklagenden Blick zu, dem er gekonnt auswich.

«Mama, es ist nicht wichtig», versuchte ich auszuweichen.

«Ist es doch! Lea! Seit Monaten versuche ich ein normales Gespräch mit dir zu führen und du brichst immer an dieser Stelle ab. Wie wärs, wenn du mir einmal erklärst was los ist?»

Ich konnte es nicht, ich konnte meiner Mutter so Vieles nicht erklären. Sie wusste wer ich war, aber sie wusste nicht, wie ich hierher gekommen war. Wer diese Menschen um mich herum waren. Und vor allem konnte sie nicht nachvollziehen, wie viel Macht ich hatte.

«Mama, ich werde bald kommen, ich verspreche es. Bald muss ich nämlich eine wichtige Präsentation an der Uni halten, da werden wir uns spätestens sehen», das war nicht gelogen.

«Okey, Lea, aber dann erzählst du mir alles, versprochen?», flehte sie und ich stimmte seufzend zu.

Mein General griff kurz nach meiner Hand.

»Es war nicht zu schlimm, oder?»

Meine einzige Antwort war ein wiederholter Seufzer.

Es war spät nach Mitternacht, als wir endlich vor der größten Militärbase von ganz Russland hielten. Der schwarze Mercedes hielt in der Parklücke. Nur wenige Sekunden später standen über fünf bewaffnete Männer um den Wagen herum. Das war meine Realität. Nicht Nastja, nicht meine Familie, nicht mein altes Zuhause. Diese Männer, die mir vor wenigen Monaten eine lebenslange Treue geschworen hatten, war nun mein Leben. Ich konnte die Wahrheit akzeptieren oder ablehnen, es würde nichts ändern.

Hier war ich, Oberbefehlhaberin über die russiche Armee, Öloligarchin, umgeben von meiner Wache, an meiner Seite mein General Vasily Titarenko - ein Mann, der wusste wie es ging, der wie kein anderer die Kalaschnikov bedienen konnte, der wie kein anderer die Kunst des Militärwesens beherrschte, der jeden meiner Feinde nur am Schatten erkennen konnte. Der Mann, der nun mein ganzes Leben war.

Er umgriff mit seinem Arm meine Taille und führte mich bis zum Eingang des riesigen Gebäudes. Mit gezückten Waffen folgten uns die Soldaten.

Obwohl es fast schon lächerlich erschien, dass sie hier mitten in der Nacht auf der eigenen von jeder Ecke strengstens bewachten Base, mir hinterher rannten als ob es hier nur von Feinden lauern würde - wusste ich, dass es einfach nur Tradition war.

Okey, mit vielleicht einer Spur Übervorsicht.

Vor der Tür drehte ich mich noch einmal um. Am Himmel war der Halbmond zu sehen, welcher ein leicht bläuliches Licht warf. Der kühle Wind einer frühen Frühlingsnacht blies meine Haare, welche ich zuvor aus dem strengen Dutt gelöst hatte, herum und ließ mich selbst unter meinem Pelzmantel frösteln.

«Leandra?», Vasily zog etwas ungeduldig an meinem Arm.

Ich folgte ihm wieder schweigend und wischte mit meinem Ärmel eine Träne, welche meine Wange hinunterfloss, weg. Er durfte nicht sehen, wie schwach ich war, auch wenn er es bereits wusste. Wie konnte er mir noch vertrauen, ein riesiges Reich unter meiner Kontrolle zu haben, wenn ich nicht einmal aushalten konnte, dass über hunderte von Kilometern meine Familie auf mich vergeblich wartete?

Wir betraten das Zimmer, welches man in so einer Form kaum auf einer Militärbase erwartete. Die großen Fenster und hellen Möbel konnte man eher in einem fünf Sterne Hotel finden. Aber Russland war eben ein Land, welches Millionen über Millionen mit Öl machte. Und das war ein sehr konkretes Beispiel, was mit diesen Beträgen gemacht wurde. Die Armen blieben genauso arm wie sie immer gewesen waren und irgendwelche Generäle, deren monatlicher Sold über dem 10-fachen von dem Durchschnitt lag, durften in solchen Wohnungen logieren.

Kaum angekommen öffnete ich die Terassentür und trat auf die dunkle Terasse hinaus. Diese Nacht würde eine schlaflose werden. Nicht nur, weil über zehn Aufgaben in verschiedenen Fächern darauf warteten erledigt werden, sondern auch, weil ich nach sollen großen Konferenzen nie ein Auge zumachen konnte.

War es tatsächlich eine richtige und vor allem eine ethische Entscheidung gewesen, diese Ölpreise zu erhöhen? Würde dadurch die Bevölkerung leiden? Würde eine alte Frau dadurch nicht mehr einkaufen fahren können? Würde ein Vater dadurch nicht mehr seine Tochter zur Schule bringen können? Meine Familie war nicht so arm, dass es sie unmittelbar beeinflussen würde, aber auch sie würden darunter leiden.

Es waren diesmal nämlich nicht nur wenige Kopejki, sondern über mehrere Rubel, die natürlich, wenn man über hunderte Liter tankte, schnell zu einem Preis wuchsen, der für manche einen beachtlichen Anteil ihres monatlichen Einkommens ausmachten.

Vor meinen Augen, auf den scheinbar endlosen Feldern um Moskau herum, standen über hunderte Helikopter und Flugzeuge, Jäger, Bombardierer und Patrouille Flieger, auf dem Boden und ich wollte immer noch mehr.

«Dafür werden sie sich in Sicherheit wiegen können», hörte ich Vasily, der plötzlich hinter mir stand.

Was war Sicherheit für ein Volk, dass nicht mehr aus ihrer eigenen Stadt herauskam? Was war Sicherheit für Menschen, die sich zwischen einem Einkauf und einmal Tanken entscheiden musste? Helikopter würden sie nicht retten. Sie waren nur wie ein Balsam für meine Seele. Ein Gefühl, genug getan zu haben. Das Geld für etwas Sinnvolles ausgegeben zu haben.

Ich, Oligarchin, die in einem Pelzmantel auf der Terasse stand und auf einen Bruchteil einer Riesenmacht hinunterblickte, hatte in Wirklichkeit keine Ahnung davon, was das Volk brauchte. Probleme, die sie hatten, konnte ich nicht mehr nachvollziehen.

Ich drehte mich um und blickte Vasily direkt an.

«Was für eine Sicherheit? Die Sicherheit, dass wenn man sich kein verdammtes Frühstück mehr leisten kann, ein Helikopter kommt und es einem liefert?», meine Stimme war wieder gefährlich am Zittern.

«Ja, stell dir vor, wir erfinden so etwas. Wird sicher ein totaler Erfolg. Man bekommt sein Frühstück von zwei mit Kalaschnikov bewaffneten Männern mit einem Helikopter geliefert. Da werde ich sogar persönlich mitmachen.»

Trotz der Tränen, die nun außer Kontrolle meine Wangen hinunterliefen, musste ich auch gleichzeitig lachen.

Der Gedanke an Vasily Titarenko, den großen General, der Frühstück auslieferte, war einfach zu komisch, um nicht zumindest für ein paar Sekunden den dunklen Nebel, der um mich herumzuschweben schien, zu vertreiben.

Mit einem leichten Grinsen im Gesicht umarmte er mich und ich presste mein Gesicht gegen seine Brust.

Einst wusste ich genau. Egal ob heute die Ölpreise eine Million erreichen würden, oder Öl aus Wasserhähnen fließen würde - er würde an meiner Seite sein. Für einen Teil des Volkes war er ein Schatten von mir, für den anderen, war er der Böse, der mich zwang nach seinem Willen zu agieren. Für andere wiederum, wie für meine Verwandten, war sein Name der eines weiteren Politikers, der Korruption betrieb und sich in seiner Freizeit mit Flugzeugen austobte. Sie konnten in keinster Weise uns in Verbindung bringen.

Dafür hatte ich, nachdem ich ihre Meinung zu ihm erfahren hatte, sehr intensiv gesorgt. Sobald sein Name in den Schlagzeilen erschien, meisten durch Taten, die er auf mein Kommando ausführte, versicherte ich meiner Mutter, nichts davon zu wissen. Sie hatte keinen Grund mir nicht zu glauben. Für sie war ich immer noch ihr kleines unschuldiges Mädchen, welches ihr zu früh entrissen und in die große, weite Welt hinausgeschmissen wurde. Sie hatte keine Ahnung, zu was ich fähig war. Keine Ahnung davon, was hier abging. Welche Intrigen, welcher Betrug, welche Korruption und welche Ungerechtigkeit.

Nicht einmal vermuten konnte sie, wer für mich General Titarenko war. Was wir machten, wenn sie in der Dunkelheit auf ihrer Terrasse stand und sich fragte, ob ich heute einen ruhigen Schlaf hatte. Sie wusste nicht, was es hieß Öloligarchin zu sein. Aber ich schon. Es hieß tausenden von Verführungen auszuweichen. Jeden Tag aufzustehen und zu wissen, dass man eine Macht innehatte, der man nicht gewachsen war. Jede Nacht aus dem Fenster zu schauen und sich die Frage zu stellen, habe ich es heute allen Recht getan? Musste jemand wegen mir seine Träume aufgeben? Stand ich auf der richtigen Seite? Jede Sekunde von bewaffneten Männern umgeben zu sein, die keinen Augenblick zögern würden, meinen Befehlen zu folgen.

Einerseits wollte ich nach Hause. Einfach nur nach Hause. In mein gemütliches Zimmer. In meine Schule, in der ich 12 lange Jahre verbracht und nun noch 3 Jahre ökonomische Ausbildung vor mir hatte mit meinen Freunden. Zu den langen Partynächten und Ausflügen mit ihnen. Aber ich hatte mich verändert. Ich war nicht mehr die Leandra, die sie gekannte hatten. Nicht mehr das Mädchen, welches ich gewesen war bevor ich durch einen anfangs nur blöden Zufall an Macht, in einem Ausmaß, wie sie es sich nicht vorstellen konnten, gelangt war. Sie würden mich nicht mehr akzeptieren. Mich nicht mehr verstehen können.

Ich hatte keine Ahnung mehr, wer mit wem zusammen war, wer von ihnen auf mich stand und wo die nächste Party stattfinden würde.

Meine Heimat war hier und jetzt. Zwischen Politikern und Millionären. Zwischen Erdöl und Kaviar. Zwischen Pelz und Diamanten. Zwischen Kalaschnikov und Makarov. Zwischen Leidenschaft und Gerechtigkeit, Korruption und Wahrheit. Aber vor allem zwischen Opposition und Regierung. Jeden einzelnen Tag.