Kapitel 9 Vorbeigehen
Tina kehrte in ihr Schlafzimmer zurück und ging mit ernster Miene zum Fenster. Der Gedanke an das kleine Mädchen, das sie gerade am Eingang des Einkaufszentrums gerettet hatte, ließ ihre hübschen Augenbrauen sich zusammenziehen. Sie hatte gerade durch eine schnelle Behandlung herausgefunden, dass das Mädchen vergiftet worden war, und die Gifte in ihrem Körper waren genau von ihrer eigenen Mutter zusammengebraut worden, unglaublich stark und aggressiv. Wenn sich das Gift entzündete, bildete sich Eiter im Gesicht, der zu Nekrosen führte.
Jemand hatte vor dem Tod ihrer Mutter nach ihr gesucht und ihr das Rezept für das Gift genommen. Tina hatte viele Jahre gebraucht, um das Gegengift zu entwickeln. Sie legte ihre bleichen Finger auf die Fensterbank und klopfte langsam und rhythmisch.
Dem Mädchen blieb nicht mehr viel Zeit. Wer hatte das Rezept überhaupt genommen und warum hatte er es auf ein so kleines Kind abgesehen? Plötzlich hörte Tina auf zu klopfen und holte ihr Handy heraus, um Cole anzurufen.
"Finde heraus, in welchem Krankenhaus heute ein etwa fünfjähriges Mädchen mit entstelltem Gesicht eingeliefert wurde."
"Verstanden", sagte Cole und legte auf.
Tina lehnte sich ans Fenster und wartete schweigend. Etwa eine halbe Stunde später rief Cole zurück: "Ich habe sie im Ensfords Hospital gefunden, im VIP-Krankenzimmer der inneren Abteilung."
"Okay, verstanden."
Zwei Tage später stieg Tina vor dem Ensfords Hospital aus einem Taxi und betrat das Krankenhaus. Im selben Moment fuhr eine schwarze Limousine an ihr vorbei. Im Wagen fiel Jareds Blick durch den Rückspiegel auf Tina, und er befahl scharf: "Halt an!"
Mit einem Schrei bremste Nathan abrupt ab, so dass alle drei Insassen nach vorne geschleudert wurden. Nathan sah sich um und fragte: "Herr Farrell, was ist los?"
Jared antwortete nicht, und ohne auf seinen Assistenten Nathan zu warten, der den Rollstuhl brachte, stieß er die Autotür auf und stieg aus. Seine schmalen Augen suchten die Menge nach der Gestalt ab, fanden aber nichts.
Hayden stieg aus und fragte: "Was ist hier los?"
Jared kniff die Augen zusammen und wich seinem Blick aus: "Nichts Besonderes, gehen wir."
In der Zwischenzeit betrat Tina das Krankenhaus und ging direkt auf das VIP-Zimmer der Inneren Abteilung zu. Als sie vor der Tür stand, sah sie das kleine Mädchen. Nach der Akupunktur sah das Kind viel besser aus. Tina legte ihre Hand auf die Türklinke und überlegte, ob sie eintreten sollte. Es war die schwerste Entscheidung ihres Lebens. Wenn sie sich einmischte, konnte sie ihre Identität und die ihrer Mutter preisgeben, und das war eine sehr wichtige Entscheidung, die ihr nicht leicht fallen durfte.
Aber als sie an die Klarheit und den Glanz in den Augen des kleinen Mädchens dachte, zögerte sie. Hätte ihr vor zehn Jahren jemand die Hand gereicht und ihr geholfen, hätte sie nicht mit ansehen müssen, wie ihre Mutter vor ihren Augen starb. Sie wollte nicht, dass einem fünfjährigen Mädchen dasselbe passierte.
Noch während sie zögerte, öffnete sich die Tür des Krankenzimmers.
"Bist du es wirklich, schöne Frau? Bist du gekommen, um mich zu sehen?" Sophia blinzelte mit ihren hellen Augen und drückte erfreut Tinas Hand. Sie hatte jemanden vor dem Krankenzimmer stehen sehen und gedacht, es könnte ihre schöne Retterin sein. Sie war hinausgestürmt, ohne zu ahnen, dass sie es wirklich war.
Tina sah auf die kleine Hand hinunter, die ihre umklammerte, und blickte in Sophias klare Augen, und sie spürte ein seltsames Schmelzen tief in ihrem Herzen. Sie lächelte leicht: "Ja, ich bin hier, um dich zu sehen."
"Ich wusste, dass du mich besuchen kommst", sagte Sophia aufgeregt und zog an Tinas Hand, "Sollen wir reingehen?"
Sie zog Tina direkt ins Krankenzimmer, ohne ihre Antwort abzuwarten. Frau Brown, die Tina sah, war überrascht: "Frau Reed?"
Tina nickte ohne Überraschung: "Ja, ich bin wegen etwas hier und habe gesehen, dass ihr hier im Krankenzimmer seid."
Frau Brown schenkte Tina schnell ein Glas Wasser ein: "Bitte setz dich."
Tina bedankte sich und sagte zu Sophia: "Lass mich mal deinen Puls fühlen."
Sophia nickte lächelnd: "Gut."
Sophias gehorsames Verhalten ließ Frau Brown fast die Augen aus dem Kopf fallen. Sophia mochte es normalerweise nicht, von Ärzten behandelt zu werden. Wenn Jared in der Nähe war, war sie recht gefügig, aber sobald er weg war, durfte niemand sie anfassen, schon gar nicht eine Fremde wie Frau Reed.
Hätte Frau Brown es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte sie geglaubt, sie hätte halluziniert.
Tina legte ihre Hand auf Sophias Handgelenk, um ihren Puls zu fühlen. Nach einem Moment legte sich Tinas Stirn in tiefe Falten und ihr Blick wurde immer grimmiger. Obwohl Sophia ihre Tablette genommen hatte, war das Gift in ihre inneren Organe eingedrungen. Zwar waren einige Giftstoffe entfernt worden, aber die geschädigten Organe versagten immer noch, was die Behandlung erschwerte.
Frau Browns Herz sank, als sie besorgt fragte: "Frau Reed, ist mit unserer jungen Herrin alles in Ordnung?"
Tina sah Sophia an, schürzte die Lippen, strich dann sanft über den Kopf des Mädchens und fragte leise: "Ich kann deine Krankheit heilen, aber es wird ein bisschen wehtun. Hast du Angst?"
"Wirklich?" Sophias Augen leuchteten: "Kann mein Gesicht auch wieder schön werden?"
"Ja", bestätigte Tina.
"Dann habe ich keine Angst", erklärte Sophia ernst. "Solange du hier bist, werde ich keine Angst haben."
Tina lächelte: "Gut, aber ich habe eine Bedingung. Du darfst niemandem erzählen, dass ich dich behandelt habe, auch nicht deiner Familie."
Es war immer besser, auf Nummer sicher zu gehen.
"Ich schaffe das schon", versicherte Sophia und klopfte sich auf die Brust.
Dann sah Tina Frau Brown an: "Und du?"
Frau Brown befand sich in einem Dilemma. Sie war nur ein Dienstmädchen und wagte es nicht, in einer so ernsten Angelegenheit Witze zu machen.
"Sie wird es auch niemandem erzählen", warf Sophia schnell ein.
"Frau Farrell ..."
Bevor Frau Brown ausreden konnte, brach Sophia in Tränen aus: "Frau Brown, jeden Tag nennen mich die Leute ein Monster. Ich habe keine Freunde, ich kann nicht zur Schule gehen, ich habe so viele Schmerzen..."
Frau Brown war erschrocken über ihre Tränen und sagte schnell: "Frau Farrell, weine nicht. Ich bin mit allem einverstanden, was Frau Reed will."
Tina nickte zustimmend: "Okay, dann fangen wir morgen mit der Behandlung an."
Nachdem sie ihre Telefonnummer hinterlassen hatte, ging Tina.
In eine Privatvilla.
Als Jared eintrat, ertönte ein durchdringender Schrei: "Mary, warum ist mein Leben so erbärmlich? Ich habe endlich eine Braut für deinen Enkel gefunden, aber er konnte sie nicht halten, hat sie verjagt...".
"Schade, dass ich mich in meinem hohen Alter noch um seine Heirat sorgen muss."
"Ich halte es nicht mehr aus, du könntest mich gleich mitnehmen."
Jared beobachtete, wie sein Großvater im Wohnzimmer jammerte, und konnte sich ein Stirnrunzeln nicht verkneifen
Er kniff sich in die Nase und sagte hilflos: "Opa! Frau Reed hat die Verlobung selbst gelöst."
Als Logan das hörte, klagte er weiter: "Mary, sieh dir deinen undankbaren Enkel an, der aus mir einen Mann der gebrochenen Versprechen macht! Ich habe Rebecca versichert, dass dieser Junge Frau Reed heiraten wird, aber dieser undankbare Enkel will mich zum Lügner machen."
"Was soll ich tun? Ich schäme mich so, Rebecca im Himmel zu sehen."
Jared lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück und atmete tief durch.
Weder Nathan noch Hayden hinter ihm wagten ein Wort zu sagen. Das war kein Witz! Wer es wagte, in diesem Moment zu sprechen, würde Logan in Stücke reißen!
"Genug mit dem Getue! Sag, was du willst!"
Jared war die ganze Aufregung unangenehm.
"Komm mit mir und bitte Frau Reed, dich zu heiraten!" Logan sprang blitzschnell auf, was sowohl Hayden als auch Nathan verblüffte.
Jared war sprachlos und wirklich hilflos, er konnte einfach nicht nein sagen!
