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Kapitel 3

Tick. Eine Sekunde verging. Tack, dann noch eine. Tick und noch eine. Die laute Uhr über der Tür versicherte mir, dass sogar eine Weitere verging und jede Sekunde fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

Unfruchtbar. Ich war unfruchtbar. Ich war nicht in der Lage, Kinder zu bekommen.

Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich diese Neuigkeit aufnehmen sollte. Ich starrte meine Frauenärztin an, bis ihr Gesicht anfing zu verschwimmen. Erst nachdem ich etwas Nasses auf meine Wange spürte, bemerkte ich, das ich weinte. Ich wusste nicht mal, warum ich weinte. Ich hatte mir nie Gedanken gemacht, ob ich Kinder wollte. Ohne einen Freund hatte es auch nie wirklich Bedeutung gehabt. Aber damals hatte ich auch noch eine Wahl. Jetzt nicht mehr.

Meine Frauenärztin griff nach meiner Hand, die ich bis jetzt verkrampft auf meine Armlehne gelegt hatte. „Es tut mir unendlich leid", flüsterte sie. Wie verbrannt entzog ich ihr meine Hand. „Sind sie sich sicher? Haben sie es überprüft?" Meine Stimme zitterte wie verrückt und immer mehr Tränen bahnten sich den Weg nach draußen. Traurig nickte sie „Ich habe es dreimal überprüfen lassen, aber das Ergebnis blieb gleich", das ich unfruchtbar war. Ich schluchzte auf. Ich würde nie eine eigene Familie haben, nie ein kleines Mädchen oder einen kleinen Jungen mit meinen Augen oder meiner Nase aufwachsen sehen.

Ich saß noch lange in diesen Raum. Viele kleine Ewigkeiten später stand ich auf mit ein letztes leises Danke an Dr. Jung verließ ich die Praxis. Die Sekretärin rief mir noch etwas hinterher, doch ich ignorierte es.

Der Weg nach Hause war kurz bevor ich den einen Gedanken zu Ende hatte, stand ich schon vor der Tür. Wie gelähmt öffnete ich sie, lief schwerfällig die Treppen hoch und betrat meine Wohnung. Jetzt, wo ich hier war, konnte nichts meine Tränen aufhalten und sie flossen ununterbrochen. Ich sollte vielleicht jemanden anrufen, aber wen? Hierbei konnte mir keiner helfen. Unfruchtbar. Ich legte meine Hände über meine Augen und schrie meinen Schmerz hinaus. Das laute Geräusch warf sich an den Wänden wieder und ich brach zusammen. Nachdem es mir schien, als sei meine letzte Träne geflossen, stand ich langsam auf. Wackelig steuerte ich mein Schlafzimmer an und ließ mich auf mein Bett fallen. Mit jeder Sekunde und jeder Ewigkeit verblasste der grelle Schmerz. Mit offenen Augen blieb ich liegen und versuchte meinen Schmerz zu verarbeiten.

***

Ich blieb zwei Tage in mein Bett. Bei meiner Arbeit hatte ich mich krankgemeldet, um mir Zeit zum Heilen zu geben. Die Anrufe meiner Mutter ignorierte ich und da sonst niemand etwas von mir wollte, verarbeitete ich langsam die Realität. Ein Klingeln riss mich aus, meine Gedanken. Kurz dachte ich das es wieder Mum war, aber das mürrische Gesicht von meinem Dad schaute mich an. Ich überwand mein Zögern und nahm den Anruf an. Ich schaltete den Lautsprecher an und ließ das Handy neben mir liegen. Kurz erklang nichts, bis ich die bekannte Stimme meines Vaters hörte, „Alli?" Ein kurzes Zögern. „Alli? Ich bin es, deine Mutter macht sich Sorgen und ich wollte sichergehen, das es dir gut geht" seine Sorge ist nicht zu überhören, also atme ich tief ein und schaue ihn an. „Hey Dad" flüstere ich leise. Meine Stimme ist kratzig vom Weinen und ich musste mich räuspern, bis ich weiter sprechen kann. „Mir gehts nicht gut Dad" sagte ich jetzt etwas deutlicher. „Kann ich dir helfen? Sag das Wort und komme sofort nach Hause" Nach Hause? Stimmt, sie waren auf der Kreuzfahrt, deswegen war meine Mum noch nicht eingebrochen. „Nein Dad, hierbei kannst du mich nicht helfen, es tut aber gut, deine Stimme zu hören", ich halte das Handy ganz nah an meiner Stirn, als wäre er so auch bei mir.

„Ach Alli, deine Mutter macht sich echt Sorgen, rede mit ihr okay?" Alli. So nannte mich nur mein Dad. Mum fand den Spitznamen immer schon unpassend, mein Name war auch so schon kurz genug. Ich hatte auch überhaupt keine Lust mit ihr zu reden, sie würde mir nur Standpauken halten. „Bitte Alli, mir zuliebe", sagte er. Mein lieber Dad, der ein Heiliger war, weil er meine Mutter geheiratet hatte, bat mich so gut wie nie was. „Okay" stimmte ich leise zu. Ich wollte es zwar nicht, aber ihm zuliebe würde ich es tun. „Danke dir mein Schatz, wenn ich dir helfen kann, egal bei was. Ich bin nur ein Anruf entfernt" bei den Worten fühlte ich die Tränen wieder aufkommen. Ich war zwar schon zwanzig, aber ich wollte gerade so gerne meinen Dad umarmen. Er würde mich trösten, bis die Welt wieder weniger grau war. Ein Schluchzen unterdrückend verabschiedete ich mich.

Es war wieder schrecklich still im Raum. Nur mein eigener Atem und das leichte Rascheln der Gardinen füllten die Stille. Etwas ruhiger, aber plötzlich sehr müde legte ich mein Handy weg und drehte mich auf meine Seite. Die Wärme meines Betts machte mich so müde, bis ich schließlich meine Augen schloss und mich die Schwärze empfing.

***

Da war Dunkelheit. Das schwarze Nichts war mir nur allzu bekannt und langsam drehte ich mich um. Ich erwartete wieder den dunklen Schatten mit den roten Augen zu sehen, doch da stand nichts hinter mir, bereits um mich anzugreifen. Mein Herz wurde etwas langsamer, während ich immer noch auf der Hut um mich schaute. 

Ich trug meine Leggings und mein Top, doch außer mich selber konnte ich nichts wahrnehmen. Plötzlich sah ich in der Ferne ein kleines Licht. Etwas unsicher, ob ich es wirklich gesehen hatte, kniff ich meine Augen zusammen und da sah ich das Licht deutlicher. Wie ein gefallener Stern in einer dunklen Nacht zog es mich fast magisch an. Ich gab dem Gefühl nach und schritt vorsichtig zum Licht. Mit jedem Schritt kam ich näher und wurde das Licht größer und heller. Das Licht wurde sogar so hell, dass es mich blendete. Ich schützte meine Augen, indem ich meine Hand vor meinen Augen hielt, während ich mich dem Licht näherte. Ich spürte die Wärme, die es ausstrahlte und eine Geborgenheit hielt mich fest, als ich ganz still stand.

Plötzlich spürte ich etwas auf meiner Schulter. Erschrocken drehte ich mich um und ich erwartete fast den Schatten zu sehen, als es nicht der Schatten sondern ein alter Mann war. Seine Haut hatte die Farbe von Walnüssen und seine Augen leuchteten in ein helles Blau. „Wer bist du?" Fragte ich den fremden Mann. Dieser lächelte nur und drehte sich zu mir um, da sah ich es. So hell und leuchtend wie das blendende Licht waren die zwei Flügel, die er auf seinen Rücken trug. Ich sah jede einzelne Feder, welche weicher aussahen als alles, was ich je gesehen hatte. „Was bist du?" Fragte ich jetzt etwas leiser. Doch der Mann drehte sich zu mir und lächelte mich an „was, du bist", erklang seine weiche Stimme. Nicht laut oder dröhnend, wie ich es erwartet hatte, sondern weich und sanft, dass es mich an die Stimme meines Dads erinnerte.

Verwirrt legte ich den Kopf schief, was meinte er damit? Der Fremde griff vorbei an meinen Schultern und strich über etwas Weiches. Ich drehte mich um neugierig, was er meinte, als ich es sah. Zwei leuchtende Flügel ragten aus meinen Rücken. Sie hatte weiße und hellbraune Feder, die in dem hellen Lichtgold aussahen. Mein Mund klappte auf und wie verzaubert strich ich über die weichen Federn. Ich spürte es, dass Gewicht der Flügel und wie sich jede meiner Federn sträubten, als ich über sie strich. „Wunderschön" hauchte ich leise. Der Mann lächelte bloß wieder. Im Gegensatz zu mir war er überhaupt nicht überrascht, als hätte ich immer schon Flügel gehabt. 

„Gib auf dich Acht, mein Kind. Vertrau dir und deiner Kraft" Sagte er liebevoll und legte seine Hand an meine Wange. Sie war warm und weich, doch bevor ich fragen konnte, was er meinte, kehrte er um und lief davon. „Warte!" Rief ich ihn noch nach. „Was meinst du damit?", doch er drehte sich nicht um und entfernte sich immer weiter von mir. Ich versuchte ihn zu folgen, doch meine Glieder fühlten sich plötzlich sehr schwer an. Das Licht verblasste und die Dunkelheit empfing mich und ich bekam gerade noch mit, wie mein Körper zu Boden fiel.  

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