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Kapitel 1

Mein warmer Atem bildete einen weißen, durchsichtigen Rauch. Die kalte Luft brachte meinen Körper zu zittern. Mein Herz schlug schneller als sonst, was wahrscheinlich an der Kälte lag.

Ich war es nicht gewohnt, bei diesen Temperaturen draußen zu sein, aber ich brauchte ein wenig Luft.

Die Albträume, die mich jetzt schon seit einigen Wochen quälten, raubten mir wieder meinen Schlaf. Auf der Arbeit war ich auch erschöpfter und nur dank meiner netten Vorgesetzten hatten sie mich noch nicht rausgeworfen. Im Krankenhaus konnte man sich eigentlich keine Fehler erlauben, aber Mandy hatte Mitleid mit mir und wir hatten vereinbart, dass sie mir unter die Arme greift.

Meine Taschenlampe auf mein Handy gab mir gerade genug Licht, dass ich ohne viel Stolpern entlang den Wald laufen konnte.

Mein Haus befand sich etwa zwei Straßen vom Wald entfernt, der sich über Kilometer erstreckte. In meiner Kindheit hatte ich viele glückliche Stunden in diesen Wäldern verbracht, aber irgendwann war ich dann doch zu erwachsen geworden, im Wald nach Elfen zu suchen. Das Hausmeiner Eltern stand drei Straßen weiter, mit einem Garten direkt am Wald. Mein Vater hatte unzählige Baumhäuser und Hütten gebaut und diese Kindheitserinnerungen waren auch der Grund gewesen, warum ich mir eine Wohnung in der Nähe vom Wald gesucht hatte. Auch jetzt war ich dankbar, meine Gedanken zu ordnen im Schutz der vielen Bäume.

Morgen musste ich wieder arbeiten und ich sah dem Ganzen ziemlich entgegen. Natürlich machte es mir Spaß, anderen Menschen zu helfen, aber die eintönige Arbeit machte es manchmal echt langweilig.

Wirklich Freunde hatte ich auch nicht mehr. In meiner Kleinstadt hatte ich eigentlich schon jeden kennengelernt und die wenigen Schulfreunde meldeten sich nur ein-, zwei Mal im Jahr. Komischerweise störte mich das aber nicht besonders. Es war mir nicht wirklich wert, viel Mühe in eine Freundschaft zu stecken, die fake ist.

Plötzlich hörte ich ein lautes Rascheln in den Gebüschen neben mir. Einen Moment blieb ich stehen und starrte in die Richtung des Geräusches, konnte aber nichts erkennen. Ein Elf? Ich schüttelte den Kopf, es gab keine magischen Wesen. Trotz meines Alters hatte ich nie wirklich aufgehört, an so etwas wie Magie zu glauben. Es machte die Welt um mich herum irgendwie... schöner und die Möglichkeit, dass es mehr gab, als man sah, hatte mir immer schon gefallen.

Also setzte ich meinen Weg fort, bis ich nach einigen Minuten wieder bei dem Einfamilienhaus ankam, in dem sich meine Wohnung befand. Meine Hände zitterten und so dauerte es Ewigkeiten, bis ich den richtigen Schlüssel gefunden hatte. Mit einem fröhlichen Keuchen fand ich den richtigen und schloss die Tür auf. Ein Geruch von Socken und Chemikalien begrüßte mich und ich rümpfte die Nase. Kein angenehmer Empfang.

In meiner Wohnung war es sehr kalt, aufgrund von meinem Einkommen konnte ich mir nicht leisten, im Herbst die Heizung in der Nacht anzulassen. Schnell zog ich mir meinen warmen, kuscheligen Pullover an und floh in mein Bett. Die kühle Luft hatte tatsächlich geholfen, meinen Kopf frei zu kriegen, und der Albtraum war längst wieder vergessen. Mit einem beruhigten Lächeln auf den Lippen schlief ich dann ein.

***

„Alice, Alice? Alice!" Eine schrille Stimme schrie mich an und unterbrach mein notdürftiges Nickerchen. Mit einem genervten Stöhnen richtete ich mich auf und blickte gerade in das Gesicht von Sarah, die mich geradezu entsetzt anschaute. „Wir alle suchen dich und du schläfst einfach?!" Gott konnte die Frau laut schreien. „Ja Sarah, ich hatte Pause, also darf ich die nutzen wie ich es will", um schnell ihrer Tollwut zu entkommen, richtete ich meine Haare einigermaßen und wollte gerade den Pausenraum verlassen als Sarahs Stimme noch eine Oktave höher wurde. „Du arbeitest in ein Krankenhaus! Was, wenn etwas passiert wäre?" Mit einem Augenrollen zur Tür gerichtet, drehte ich mich langsam um. „Hör mir mal gut zu, es kümmert mich ein Scheiß, dass du immer rausgehst, um eine zu rauchen, also kann es dir auch egal sein, was ich in meiner Pause mache". Ohne ihr einen weiteren Blick zu gönnen, trat ich raus und machte mich an die Arbeit.

Etwas wacher lief ich durch die Gänge und sah hin und wieder nach den kranken alten Leuten in den Zimmern. Meine Arbeit war eigentlich sehr leicht, Essen besorgen, Blut abnehmen, Betten neu beziehen und manchmal mit ihnen spazieren gehen. Die meisten, die hier lagen, waren ältere Personen, dessen Alter an ihre Kräfte zerrten. Dann gab es noch die Kinder mit etwas Gebrochenes (meistens Jungs) und nur manchmal ein Erwachsener. Das war auch einer der Gründe gewesen, warum ich Krankenschwester werden wollte, die einzigen Personen, die ich mochte, waren entweder richtig alt oder richtig jung. Mit den Leuten in meinem Alter kam ich nie besonders klar.

Nach einem ruhigen Arbeitstag, bei dem ich Sarah erfolgreich aus dem Weg gegangen war, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Die Bäume trugen bunte Blätter und ohne den Matsch an den Straßenrändern war es sogar irgendwie schön hier draußen. Herbst war noch nie meine Lieblingsjahreszeit gewesen und da ich auch niemanden hatte, mit dem ich vor einem Kamin kuscheln könnte, blieb meine Stimmung bedrückt.

Zu Hause machte ich sofort die Heizung an, scheiß auf Heizkosten. Kaum hatte ich mich mit einem heißen Kakao, mit Kuschelsocken auf meine Couch geschmissen, klingelte mein Handy. Genervt legte ich mein Buch weg und sah, wer mich störte. Das Gesicht meiner Mum lächelte mich auf dem Bildschirm an. Na toll. Etwas widerwillig nahm ich den Anruf an und sofort erklang die laute, aufgeregte Stimme meiner Mum „Alice! Schatz, ich habe großartige Neuigkeiten!" Ich unterdrückte ein Seufzen „Hallo Mum, wie geht es dir?" Doch sie überflog meine Frage und redete einfach weiter „Dein Vater hat ein wenig gespart dieses Jahr und wir konnten eine Kreuzfahrt buchen!" Mit Vater meinte sie wohl sich selbst, mein Dad gab fast nie Geld aus. Nur sie kaufte sich immer die unnötigsten Sachen. „Das ist ja schön Mum", gerade wollte ich, mit so viel Motivation wie ich aufbringen konnte, ihr gratulieren als sie mich wieder unterbrach. „Ist das nicht schön, wir werden ein paar Wochen einfach nichts machen können" schwärmte sie begeistert. Mein Seufzen war dieses Mal wohl doch zu laut, denn sie unterbrach ihren Redefluss. „Ach Schatz sei nicht traurig, wir sehen uns Mitte Dezember wieder" Sie dachte wohl, dass es mich störte, dass sie ein paar Wochen weg fuhr, doch eigentlich fand ich es ganz schön, mal nicht jeden zweiten Tag gefragt zu werden, warum ich nicht mal was normales tat. Normal, was ist das schon?

„Nein, mach dir keine Sorgen, Mum, ich komme schon klar" „Ach, dann ist ja gut" Jep gut, dass ich meine Ruhe bekam. „Aber Alice, wenn wir weg sind, gehe doch mal auf eine Party und lerne ein paar neue Leute kennen", jetzt konnte ich mir ein Augenrollen doch nicht verkneifen „Ja Mum, wenn du zurückkommst, habe ich ganz viele neue Freunde gefunden", der Sarkasmus war nicht zu überhören, doch sie entschied sich wohl, es zu ignorieren. „Ich freue mich schon darauf, Schatz", damit war das Gespräch wohl beendet und nach ein paar Abschiedsfloskeln, legte sie endlich auf.

Ich meine, versteh mich nicht falsch. Ich hatte nichts dagegen, meine Freitagabende mit ein paar Freunden zu verbringen, anstatt alleine auf meiner Couch zu sitzen, aber alle Leute in meinem Alter wollten alle nur das Gleiche. Saufen bis zum Umfallen, stundenlang in einer Scheune Party machen und sich den Kopf mit Drogen kaputtmachen. Natürlich hatte ich nichts gegen ein wenig Sekt oder Glühwein, aber so wie sich andere Zwanzigjährige die Birne wegschossen, verzichtete ich lieber. Der Gedanke stärkte mich doch ein wenig und mein Selbstzweifel verblasste wieder. Ich war echt zufrieden mit dem, was ich hatte, und ich hatte nicht das dringende Bedürfnis, mir irgendwelche Fake-Freunde zu holen, nur damit meine Mum mich in Ruhe ließ. Etwas ruhiger schnappte ich mir mein Buch wieder und nachdem mein Kakao leer war und mein Buch immer noch langweilig, schlief ich friedlich ein.

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