Bibliothek
Deutsch
Kapitel
Einstellungen

Kapitel 2.

Ich hasste es zu warten. Wozu vereinbare ich Termine, sortiere alles in meinem Terminkalender umher und bettle bei Jim und seiner Freundin, ob sie auf Emily aufpassen können? Nicht, um mir den Hintern im Café wund zu sitzen und auf einen möglichen Drogenboss zu warten, der meine Tochter babysitten möchte.

Abermals überprüfte ich mein Telefon, ob sich Greenfield möglicherweise dazu durchgerungen hatte, mich über seine Verspätung von mittlerweile 34 Minuten aufzuklären. Dann soll er mir doch einfach mitteilen, er habe keine Lust mehr, es ist ihm zu anstrengend, sein Job ist nicht gemacht dafür, noch nebenbei auf ein Kind aufzupassen. Kommt vielleicht schlecht bei den Nutten an. Oder Emily würde etwas von seinem Koks verstreuen, bestimmt würde sie damit wundervolle Koksbilder auf seinem Mamorboden kreieren.

Ich musste bei diesem Gedankengang breit grinsen. Vielleicht hatte ich deshalb nur zwei Freunde. Jup, Wahnsinn stand mir schon immer ausgezeichnet.

»Herr Smith?«, fragte plötzlich eine raue und tiefe Stimme neben mir. Ich wandte meinen Blick zu dem Mann, der mich gerade aus meinen wilden Vorstellungen gerissen hatte. Er war groß, nein, nahezu riesig, was möglicherweise daran lag, dass ich auf diesen winzigen, aber verdammt bequemen Sitzsäcken saß. Diese, in denen man so tief versinkt, dass nur noch die Unterschenkel und der Kopf hinausschauen können. Wenn man Glück hatte, war der Hals und die Schultern auch noch zu erkennen. Hey, ich bin Eric, 31 Jahre alt und setze mich in diesem Hipstercafé tatsächlich in einen Sitzsack.

Ich nickte leicht und erhob mich, doppelt so ungelenk wie es für mich üblich war. Freundlich lächelnd reichte ich ihm die Hand, mein Blick wanderte kurz an ihm hinauf und wieder hinab. Gut bemuskelt, sportlich, groß. Große Hände. Er trug eine teure Stoffhose, einen enganliegenden schwarzen Rollkragenpullover und dazu einen stylischen Blazer. Dunkelbraune, gestylte Haare und einen Drei-Tage-Bart, ziemlich gut gepflegt. Hellbraune Augen, Bernsteinfarben. Er lächelte ebenso freundlich wie ich, wobei man bei ihm leicht seine weißen Zähne aufblitzen sah. Viel zu junger Drogenboss. Oder ein Hipsterdrogenboss?

Sein Gehstock fiel mir jedoch erst ins Auge, als er diesen in die linke Hand wechselte, um mir die Rechte zu geben. Ich blinzelte überrascht, was ihn sichtlich amüsierte.

»Ich dachte, ich würde nicht so lang brauchen, aber Sie sehen ja, ich bin aktuell nicht der Schnellste.«

»Hätten Sie mir gesagt, dass sie schlecht gehen können, hätten wir uns woanders treffen können! Oder ich wäre zu Ihnen gefahren!« Ich sah ihn besorgt an.

»Nein, ich will kein Mitleid. Aber Ihr Blick trieft förmlich davor«, sagte er und lachte leise auf, bevor er seine Hand der meinen entzog und sich nach einem geeigneten Stuhl umsah. Ich ließ meinen Blick ebenfalls schweifen, hüpfte dann eilig zu einem Nachbartisch und schob ihn zu Greenfield. Der ließ sich dankend darauf sinken.

»Tut mir leid, ich war nur so überrascht.« Leise seufzend ließ ich mich wieder in meinen Sitzsack fallen. »Der Gehstock hat mich wirklich aus dem Konzept gebracht.«

»Geht den Meisten ähnlich wie Ihnen«, sagte er lächelnd, als würde ihn das gar nicht interessieren. Jetzt war ich wahnsinnig neugierig. Wieso brauchte er den Gehstock? Vielleicht eine Schusswunde, die er bei einem hitzigen Gefecht um seine Drogen davongetragen hatte? Verdammt, die Fantasien gingen mit mir durch. Das hatte Emily dann wohl von mir.

»Haben Sie schon bestellt, Herr Smith?«, fragte er beiläufig, obwohl er meine halbvolle Tasse schon längst zur Kenntnis genommen hatte.

»Ja, habe ich. Und bitte nennen Sie mich doch Eric«, sagte ich höflich, bevor ich wieder das weiße Porzellan in meine Hände nahm. Man, hatte ich kleine Hände. Fast schon Frauenhände.

»Oh, Sie sind verheiratet?« Jason hatte überrascht die Augenbrauen gehoben. Kann er Gedanken lesen, oder warum schaute er genau dann auf meine Patschepfoten?

»Ich war verheiratet«, korrigierte ich ihn, nippte kurz an meiner Tasse und versuchte mir die aufsteigende Panik nicht anmerken zu lassen. Ich mochte es nicht, über Emilys Mutter zu sprechen. Ich wollte nicht darüber reden, wie sie mir das Herz rausgerissen, entzweit und dann nochmals darauf gespuckt hat, bevor sie mich und Emily sitzen ließ.

»Oh, tut mir leid, ich wusste nicht-«, setzte Greenfield zum reden an, aber ich unterbrach ihn mit einer wegwerfenden Geste.

»Schon in Ordnung, Emily wird es Ihnen sicherlich irgendwann erzählen.« Er fing breit an zu lächeln, was ihm einen verwirrten Blick meinerseits einbrachte.

»Das freut mich, dass Sie sich für mich entschieden haben, Eric«, sagte Jason und lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. »Ich bin der zuverlässigste Babysitter, den sie bekommen können.«

»Ich habe doch gar nicht-« Nun unterbrach er mich. Mit einer viel zu hohen und schiefen Stimme imitierte er mich.

»Emily wird es Ihnen noch erzählen." Genervt atmete ich aus. Verdammt, hab' ich mich wieder verplappert?

»Ganz ruhig, Mister, ich weiß überhaupt nichts über Sie.« Er sah mich eine Weile an, vielleicht überlegte er sich gerade, wie er seine Drogenboss Story möglichst kinderfreundlich schildern könnte.

»Ich heiße Jason Greenfield, bin 30 Jahre alt, geboren in der mickrigsten Stadt die Sie sich vorstellen können. Ich habe 3 Brüder, meine Eltern reden nur mit mir wenn sie Geld brauchen. Ich war Geschäftsführer einer bekannten Firma, deren Namen ich aus Datenschutzgründen nur im Beisein meines Anwalt nennen darf.« Er pausierte kurz, trank einen Schluck vom Cappuccino, welcher in seinem Redefluss von der Kellnerin gebracht wurde, rutschte nochmal in seinem Stuhl umher und räusperte sich, bevor er fortfuhr.

»Durch einen Verkehrsunfall vor einem Jahr bin ich noch an diesem Gehstock gebunden und musste meine Arbeit niederlegen, der aktuelle Geschäftsführer ist einer meiner besten Freunde, weshalb ich noch teilweise in die Geschäfte dort integriert werde. Der Heilungsprozess gestaltete sich nach dem Unfall schwieriger als erwartet, weshalb mir meine Therapeutin nahe legte, ich solle mich nach kleinen Jobs mit Kindern oder jungen Menschen umsehen, babysitten oder Nachhilfe geben, um die Positivität der Menschen und Kinder zu nutzen. Bis vor zwei Wochen war ich noch Babysitter eines anderen Kindes, aber die Familie ist leider umgezogen.«

Er nahm erneut ein Schlückchen vom Kaffee. Mein Kopf musste die ganzen Informationen noch verarbeiten. Also ist er kein Drogenboss, sondern nur ein stinkreicher Schnösel, der zu viel Zeit hatte und meine Tochter gegen eine geringe Bezahlung babysitten wollte? Besser konnte es doch gar nicht sein!

Jason sah mich gelassen an, sicherlich wollte er mir damit die Chance geben, mich zu äußern. Aber was sollte ich jetzt darauf antworten?

»Sehr interessant«, begann ich und tippte rhythmisch mit meinen Fingerspitzen gegen die hübsche Porzellantasse. »Also haben Sie schon Erfahrung mit Kindern gesammelt, das freut mich natürlich. Und ich bedaure Ihren Unfall, da müssen Sie ja sicherlich auch noch zu einer Menge Termine und Besuche. Da stört ein Kind doch sicherlich, oder?«

»Ach nein, das letzte Kind hat mich immer zu meinen Terminen begleitet. Vielleicht würde sich das bei Emily auch einrichten lassen, meinen Sie nicht?« Ich nickte leicht, Emily liebte Ausflüge jeder Art, ganz gleich, ob sie dann in einem Wartezimmer sitzt und sich die Bilder in der Fachzeitschrift anschaut.

»Ja, das stimmt wohl, das ließe sich einrichten. Emily ist wirklich ein freundliches und ruhiges Kind, sie liebt Unternehmungen jeglicher Art. Ich denke, es würde sie nicht stören, Sie zu begleiten. Mich auch nicht, wenn ich Sie besser kenne, natürlich.« Jason lächelte zufrieden und trank seinen Cappuccino aus, bevor er sich zurück lehnte und den Blick durch's Café schweifen ließ.

Ich selbst sah in meine Tasse und beobachtete die letzten Tropfen meines Kaffees, wie sie sich im Boden zu einem größeren Tropfen zusammenschlossen. Leise seufzend stellte ich die Tasse auf den Tisch ab, Jason wandte seinen Blick wieder mir zu.

»Wie viel hat Ihnen die andere Familie bezahlt?«, fragte ich ihn und legte meine Hände in meinem Schoß übereinander.

»Ungefähr 20 die Stunde, aber die sind auch im Geld geschwommen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich einfach ab und an zu Terminen fahren könnten, Taxis sind mir suspekt.« Ich musste ihn wirklich irritiert angesehen haben, denn er wandte leicht den Kopf. Moment, schmollte er gerade?!

»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen, ich dachte nur, Sie hätten vielleicht einen Fahrer oder ähnliches«, gestand ich ihm schmunzelnd.

»Wieso sollte ich einen Fahrer haben?«, fragte Jason schmunzelnd. Sein Schmollmund war blitzschnell wieder verschwunden. »So viel Geld habe ich auch nicht.«

Ertappt nickte ich, dann begann ich zu lächeln.

»Also dann, ich würde mich freuen, wenn Sie der Babysitter meiner Tochter werden. Vorher würde ich mich natürlich nochmal mit Ihnen und Emily treffen, ihr Urteil ist natürlich das Wichtigste. Sind Sie damit einverstanden?«

»Bin ich, Eric. Und bitte duzen Sie mich doch, Jason reicht.« Er streckte mir seine Hand entgegen, was mich leicht lächeln ließ. Ich erhob mich halbwegs aus den Sitzsack und ergriff seine Hand, um sie leicht zu schütteln.

»Ist gut, Jason. Alles weitere besprechen wir am Telefon?«

Laden Sie die App herunter, um die Belohnung zu erhalten
Scannen Sie den QR-Code, um die Hinovel-App herunterzuladen.