Kapitel 1
Vor zwei Jahren hatte mich meine Mutter gezwungen, mich von meinem Freund zu trennen und anstelle meiner Schwester den blinden Verlobten zu heiraten.
Zwei Jahre später bekam mein blinder Ehemann plötzlich sein Augenlicht zurück, und meine Mutter verlangte erneut, ich solle ihn nun meiner Schwester "zurückgeben".
Mein Vater starrte mich wütend an.
"Viviane, vergiss nicht: Sven war ursprünglich Lisas Verlobter. Und du glaubst ernsthaft, du wärst würdig, Svens Frau zu sein?"
Ha.
Ich würde ohnehin bald sterben.
Wer diesen Titel haben wollte, sollte ihn ruhig nehmen.
Und nachdem ich gestorben war, sah ich mit eigenen Augen zu, wie einer nach dem anderen seine Strafe erhielt.
…
An dem Tag, an dem ich meinen Mann zu seiner Kontrolluntersuchung begleitete und erfuhr, dass sein Augenlicht bald zurückkehren würde, rief mich meine Mutter nach Hause.
Sie sah mich mit eiskaltem Gesichtsausdruck an.
"Viviane, lass dich von Sven scheiden. Nur wenn ihr getrennt seid, kann Lisa ihn heiraten."
Ich antwortete nicht.
Ich war nur erstaunt, wie leicht ihr solche Worte über die Lippen kamen.
Als mein Vater sah, dass ich nicht sofort zustimmte, zeigte er voller Zorn auf mich.
"Viviane, vergiss nicht: Sven war Lisas Verlobter! Du hältst diesen Platz besetzt, und meinst, du hättest ein Recht darauf?"
"Rutsch endlich von diesem Platz runter!"
Ich sah meine Eltern an.
Und daneben Lisa, die sich mit gespielter Zerbrechlichkeit in ihre Arme schmiegte.
In mir breitete sich nur noch ein bitteres Lachen aus.
Ja, ursprünglich hatten Sven und Lisa eine Verlobung.
Doch nachdem Sven sein Augenlicht verloren hatte, hatten meine Eltern es nicht ertragen, dass ihre kostbare Lisa einen Blinden heiraten sollte, also lösten sie die Verlobung auf.
Wer hätte ahnen können, dass die Geschäfte der Familie Brockhaus daraufhin immer weiter aufstiegen, während die Familie Wolff bergab rutschte?
Vor zwei Jahren geriet die Familie Wolff in eine Schuldenkrise und klammerte sich verzweifelt an die Familie Brockhaus.
Und ausgerechnet Sven entwickelte nach seiner Erblindung eine schwere Form von Allergie gegen Frauen.
Wenn eine Frau ihm zu nahe kam, bekam er innerhalb von Sekunden Ausschlag am ganzen Körper.
Die einzigen Frauen, die er vertrug, waren meine Schwester und ich.
Wir drei waren zusammen aufgewachsen, unsere Gerüche lösten bei ihm keine Reaktion aus.
Als die Familie Brockhaus verlangte, die ursprüngliche Verlobung einzuhalten, zögerten meine Eltern keine Sekunde und entschieden sich, mich zu opfern.
Ich wurde gezwungen, einen Ehevertrag zu unterschreiben, und man schleifte mich zur Eheschließung mit Sven.
Die Firma meines Vaters erhielt daraufhin zwanzig Millionen Euro Investition von der Familie Brockhaus.
Ich bekam weder Brautgeld noch Mitgift.
Ich war nichts weiter als eine Ware, die man über Nacht sauber verpackt an die Brockhauss geliefert hatte.
Das Lächerliche war:
Nach zwanzig Jahren in meinem Elternhaus passten meine persönlichen Dinge nicht einmal in einen einzigen Koffer.
Wegen der aufgelösten Verlobung hasste mein Schwiegervater mich, meine Schwiegermutter verabscheute mich.
In ihren Augen war ich nur das gekaufte Gebärwerkzeug, das die Familie Wolff ihnen geschickt hatte, damit Sven einen Erben bekam.
Noch lächerlicher war:
Sven hielt mich die ganze Zeit nur für einen Ersatz für Lisa.
Und dabei war Lisa genau diejenige, die ihn wegen seiner Blindheit nicht heiraten wollte.
Sogar wenn er mit mir das Intimste tat, nannte er ihren Namen.
Im Hause Brockhaus war ich seine 24-Stunden-Pflegerin, zuständig für jede seiner alltäglichen Bedürfnissen.
Durch seine Erblindung war sein Temperament launisch und unberechenbar geworden.
Er verbrachte seine Tage meist im Schlafzimmer und betäubte sich mit Zigaretten.
Wenn ich ihm beim Anziehen oder Essen half, drückte er plötzlich seine glühende Zigarettenspitze in meine Richtung.
Manchmal verbrannte er nur meine Kleidung.
Manchmal hinterließ er auf meiner Haut ein rundes Brandmal.
Ich wusste nicht einmal mehr, wie viele Brandnarben ich bereits hatte, alte Narben überlappten sich mit neuen.
War ich nicht wütend?
Doch, natürlich war ich es.
Aber ich wagte nicht, es auszusprechen.
Niemand hätte mich geschützt.
Wollte ich nicht aufbegehren?
Doch, natürlich wollte ich.
Aber hätte ich es getan, hätte die Familie Brockhaus die Familie Wolff binnen eines Tages zerstört.
Ich war ins Haus der Brockhauss geschickt worden, um sie zufriedenzustellen.
Um Sven zufriedenzustellen.
Das war mein "Wert".
Ich erinnerte mich noch an das erste Mal, als er mich mit der Zigarette verbrannte.
Ich rief meine Mutter unter Tränen an und sagte ihr, dass ich Angst hatte und dass es wehtat.
Doch sie schimpfte mich nur aus.
"Viviane, Sven ist bloß schlecht gelaunt. Reiß dich zusammen. Ich sage dir, ärgere die Familie Brockhaus nicht."
Gut.
Ich schwieg.
Ich ertrug alles.
Für die Außenwelt war ich die glanzvolle Frau Brockhaus.
Hinter verschlossenen Türen war ich die Puppe, die Sven nach Belieben quälte.
Ich war schon lange verheiratet, doch ich wurde nicht schwanger.
Meine Schwiegermutter verspottete mich jedes Mal:
"Eine Henne, die keine Eier legt."
