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Kapitel 4

Kapitel 4: Letzte Wünsche

DER PUNKT DER HOFFNUNG

Der Montag begann mit einer angespannten Atmosphäre im Haus der Familie. Der große Raum, einst voller Lachen und Erinnerungen, war nun Schauplatz tiefer Spannungen. Wir waren alle da: ich, Espoir, meine jüngere Schwester Émilie und mein Bruder Hector. Der Anwalt, ein Mann mit teilnahmslosem Gesicht und präzisen Gesten, saß uns gegenüber und hatte die Akten sorgfältig geordnet vor sich.

– „Mein Beileid an alle“, begann er und öffnete einen dicken Ordner. „Heute sind wir hier, um den letzten Wünschen Ihres Vaters nachzukommen.“

Ich blieb stumm und trommelte leicht mit den Fingern auf die Armlehne meines Stuhls. Emilie wirkte nervös und fummelte am Saum ihres Kleides herum. Hector seinerseits hatte einen neutralen Gesichtsausdruck, aber ich wusste, dass er vor Ungeduld brannte.

– „Ihr Vater, ein Mann von großer Strenge und einer klaren Vision für jeden von Ihnen, hat darauf geachtet, sein Vermögen sorgfältig zu verteilen“, fuhr der Anwalt fort und warf einen Blick auf seine Notizen.

Er rückte seine Brille zurecht, bevor er zu lesen begann.

— „Für Emilie hat Ihr Vater den Wunsch geäußert, Ihnen die Leitung des Familienhotels, der Oldtimer sowie der Hauptwäscherei anzuvertrauen.“

Émilie öffnete überrascht den Mund, aber es kamen keine Worte heraus. Ich sah, wie sie Hector und dann mich ansah, als wollte sie sich vergewissern, dass sie richtig gehört hatte.

– „Hector“, fuhr der Anwalt fort, „überlässt Ihr Vater die Auslandsgesellschaften und die komplette Leitung der Hafenaktivitäten.“

Hector nickte zufrieden. Sein Kiefer spannte sich leicht an, aber er sagte nichts.

Dann blickte der Anwalt zu mir auf und es herrschte noch tieferes Schweigen.

– „Hoffnung“, sagte er mit feierlicherer Stimme. „Dein Vater vertraute darauf, dass du die Macht der Familie aufrechterhältst und sein Reich beschützt.“

Ich verschränkte die Arme und wartete darauf, was als nächstes geschah.

– „Deshalb vertraut er Ihnen alle Geschäfte der Familienmafia an, den gesamten Handel, der Ihren Namen berühmt gemacht hat. Außerdem hinterlässt er Ihnen das Luxusboot, das die besten Restaurants der Stadt beherbergt, ein Symbol für Prestige und Macht.“

Ein Schauer durchlief mich. Dieses Boot war ein Herzstück des Familienerbes, ein Stolz, den mein Vater immer geschützt hatte. Doch bevor ich die Bedeutung dieser Erbschaft auskosten konnte, fügte der Anwalt eine Bedingung hinzu, die mir den Atem raubte.

– „Es gibt jedoch eine Bedingung.“

Meine Augen wurden schmal.

– „Das Testament besagt, dass dieses Boot verkauft wird und das gesamte Geld einem Waisenhaus gespendet wird, sofern Sie nicht innerhalb von drei Monaten nach dieser Lesung eine Frau heiraten.“

Der Raum versank in eiskalter Stille. Ich starrte den Anwalt an und konnte nicht verstehen, was ich gerade gehört hatte.

– „Sag das noch einmal“, befahl ich heiser.

Der Anwalt las unerschütterlich die Klausel noch einmal.

– „Dein Vater hat klar gesagt: Wenn wir nicht innerhalb dieser Zeit heiraten, wird das Boot verkauft und das Geld kommt einer Wohltätigkeitsorganisation zugute.“

– „Das ist ein Witz“, grummelte ich und stand abrupt auf. „Mein Vater wusste sehr gut, dass ich dafür keine Zeit habe.“

Hector kicherte leise.

– „Vielleicht wollte er sicherstellen, dass du ein respektabler Mann wirst, Hope. Schließlich kann man ohne Stabilität nicht ewig regieren.“

Ich starrte meinen Bruder böse an, aber er zuckte nur mit den Schultern.

– „Hoffnung“, mischte sich Emilie mit sanfter Stimme ein, „vielleicht wollte Papa, dass du über die Zukunft nachdenkst, darüber, etwas außerhalb von … all dem aufzubauen.“

– „Und worauf engagieren Sie sich?“ Ich antwortete scharf und unterbrach sie.

Der Anwalt hob eine Hand, um die Spannung zu beruhigen.

— „Ich verstehe, dass dieser Zustand überraschend sein könnte, aber dies sind die letzten Wünsche Ihres Vaters. Sie sind klar und müssen respektiert werden.“

Mit angespanntem Kiefer ließ ich mich in meinen Stuhl zurücksinken.

– „Ich bin noch nicht bereit“, sagte ich schließlich.

– „Ich fürchte, das wird nichts ändern, Sir“, antwortete der Anwalt. „Sie haben drei Monate Zeit. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, wird das Boot verkauft und das Geld geht an das Waisenhaus. Das sind unwiderrufliche Anweisungen.“

Nach der Lesung verließ ich wortlos den Raum, die Wut kochte in mir. Diese Heiratssache... Warum hielt mein Vater es für notwendig, sie mir aufzuzwingen? Er wusste, wie viel Macht mir bedeutete, aber er beschloss, mich auszutricksen und mich auf einen Weg zu zwingen, den ich nicht gewählt hatte.

Als ich in mein Auto stieg, schwor ich mir, dass ich zu meinen eigenen Bedingungen eine Frau finden müsste, die diese Bedingung erfüllt. Niemand würde mein Leben diktieren, nicht einmal die letzten Wünsche eines Toten.

NINAS STANDPUNKT

Der Himmel begann sich ins Orange der Dämmerung zu färben, als ich neben Clara durch eine kleine Kopfsteinpflastergasse ging, die von heruntergekommenen Gebäuden gesäumt war. Das Geräusch unserer Schritte hallte sanft wider, unterbrochen von unserem lauten Lachen.

– „Und wissen Sie, was er als nächstes zu mir sagte?“ schrie Clara und unterdrückte ein Kichern.

– „Was sonst?“ Ich war schon amüsiert.

– „Er hat es gewagt, mich zu fragen, ob ich kochen kann... als ob das das Hauptkriterium dafür wäre, mit ihm auszugehen! Ist dir das klar?“

Ich brach in Gelächter aus, die Art von Lachen, die einem in den Rippen wehtut.

– „Ah, Leute“, sagte ich kopfschüttelnd. „Sie denken immer, sie hätten alles herausgefunden.“

- "Genau !" „Fügte Clara hinzu und wedelte mit den Armen, um den selbstgefälligen Blick des Jungen nachzuahmen. „Aber Moment, das Schlimmste ist, dass ich gesagt habe: ‚Weißt du, ich bin ein Profi im Eierbrennen.‘ Und dann wurde er blass!“

Wir hielten einen Moment inne, um noch lauter zu lachen. Ich glaube, es war das erste Mal an diesem Tag, dass ich mich so leicht fühlte.

Doch diese Leichtigkeit hielt nicht an.

Das Quietschen der Reifen auf dem Bürgersteig ließ uns den Kopf verdrehen. Plötzlich hielt direkt vor uns eine schwarze Limousine. Die getönten Scheiben gaben keinen Einblick in den Innenraum, aber ich wusste, dass ein solcher Wagen nie etwas Gutes verhieß.

Die Tür öffnete sich und ein großer, imposanter Mann stieg aus. Er trug einen dunklen Anzug und sein Blick war hart und direkt, ohne ein Lächeln.

– „Nina“, sagte er und ignorierte Clara völlig.

Ich versteifte mich leicht, meine Instinkte gerieten sofort in Alarmbereitschaft.

– „Jonas braucht dich jetzt.“

Sein Ton ließ keinen Raum für Diskussionen.

Clara neben mir runzelte die Stirn.

– „Wer ist das?“ flüsterte sie, sichtlich fasziniert.

Mit einem beruhigenden Lächeln drehte ich meinen Kopf zu ihr.

– „Er ist… ein Kollege“, antwortete ich vage.

Dann ging ich ohne zu zögern auf den Mann zu.

– „Jonas hat eine neue Mission für mich, oder?“ Ich fragte.

Er nickte.

– „Genau. Wir müssen sofort los.“

Ich warf einen letzten Blick auf Clara.

– „Ich muss gehen, aber wir sehen uns bald, okay?“

Clara zuckte mit den Schultern, immer noch etwas ratlos.

– „Okay, aber du wirst mir alles erzählen. Und sei vorsichtig, Nina.“

– „Immer“, sagte ich mit einem Augenzwinkern.

Ich stieg ins Auto und schloss die Tür hinter mir. Der Motor erwachte heulend zum Leben, und die schwarze Limousine verschwand in der Gasse und ließ mich allein mit diesem stillen Mann und der Last dessen, was mich erwartete.

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