9 - Alamea
„Alamea möchte in der Tat nicht heiraten." Sagt meine Mutter und legt ihre Hände zusammen. Ich sitze überfordert neben ihr. Strubbelkopf hat sich wirklich in mich verliebt. Ich dachte er würde nur irgendein Spiel spielen wie die Nicoli das auch sonst immer machen. Hätte ich gewusst, dass er das alles ernst gemeint hat, hätte ich ihm doch niemals gesagt, dass er sich selbst verletzen soll.
Ich bin mir nicht sicher wie leid er mir tut. Zum einen ist er ein Nicoli und beobachtet mich verwundert. Fragt sie wie einer wie er mit einer wie mir was aufbauen könnte. Deswegen tut er mir nicht ganz so leid. Andererseits habe ich gehört, dass Nicoli sich selten verlieben und dann ziemlich bedingungslos. Ich hätte also vielleicht doch vorsichtiger sein sollen mit dem, was ich ihm sage.
„Liegt es daran, dass er nicht sprechen kann?" Es ist verwunderlich, dass Lorcan nicht traurig über die Worte seiner Mutter ist. Muss es ihn nicht verletzten, wenn sie sowas sagt? Stattdessen ist er frustriert. Ich spüre es deutlich. Kann spüren was jeder hier gerade fühlt. Deswegen meinte ich, dass ich Lorcan auch ohne Stimme verstehen kann. Ich kann ihre Intentionen ganz leicht erspüren. Sie sind so mächtig, dass ich sie dafür nicht anfassen muss. Wäre Nevan bloß hier. Er könnte mir helfen. Mutter wollte ihn mitnehmen, aber ich war dagegen. Einen Ilaria in solch ein Haus zu bringen ist viel zu gefährlich. Sie hätten ihm am Ende noch weh getan.
„Dass er nicht sprechen kann stört sie nicht." Meine Mutter hat es verstanden. „Auch wenn ich verstehe, dass ihre Ilaria Gene für Sie nicht von Nutzen sind, sind sie der Grund wieso die Prinzessin kein Problem mit der Beeinträchtigung Lorcans hat. Es liegt in ihren Genen sowas zu akzeptieren. Es stört sie nicht im geringsten." Das stimmt. Lorcan scheint weniger frustriert zu sein. Ich traue mich nicht zu ihm rüber zu sehen. Es ist mir zu peinlich, nachdem ich ihn eben abserviert habe. Ich dachte, er würde mich nicht wollen. Dass er mir plötzlich einen Antrag macht habe ich überhaupt nicht kommen sehen.
Sein Bruder Laurent sitzt auch hier. Er ist beschämt und verunsichert. So hat er sich bestimmt noch nie gefühlt. Er sieht ziemlich überfordert aus. Mein Blick fällt immer wieder runter auf seine Einbandagierte Hand. Schwarze Bandagen auf einem schwarzen Tischtuch. Er ist ein Nicoli. Wieso tut er mir so leid? „Wenn sie Lorcan nicht heiraten will, dann sollten wir das akzeptieren." Sagt er. Verwirrt blicke ich zu ihm hoch, aber er meidet meine Augen. Wieso hilft er mir? Seine Worte machen Lorcan wütend.
Das alles ist ein bisschen viel für mich. Außerdem spüre ich etwas, was hier überhaupt nicht hin gehört. Jemand hier in diesem Raum spürt Freude. Ich frage mich wer so krank ist und sich hier dran erfreuen kann. Blicke mich suchend um und erhasche den Blick eines anderen. Er ist es! Er beobachtet alles und freut sich. Während die anderen im Hintergrund diskutieren ignoriere ich sie einfach. Der, der mich anstarrt ist auch ein Nicoli. Er trägt aber sehr simple Sachen im Vergleich zu allen anderen. Eine einfache schwarze lockere Hose und ein Satinhemd. Beides schwarz. Beides ohne Verzierungen, mit sehr schlichtem Schnitt.
Seine Haare sind braun wie die Farbe eines Baumstammes. Er hat sie relativ kurz geschnitten und nach hinten gekämmt. Wie bei den meisten Nicoli sind sie völlig Glanz los. Er hat bunte Strähnen drinnen. Seine Augen sind kein und dunkel. Die Lippen voll, die Nase fein. Er sieht nicht schlecht aus, aber ähnelt den anderen Brüdern nicht. Langsam legt er seinen Kopf schief. Ob er mir weh tun wird, wenn ich nicht bald weg sehe? Nein, er freut sich über die Aufmerksamkeit. Ich merke wie mir übel wird. Was in mir stirbt gerade.
Nervös sehe ich mich um. Ich brauche Nevan! „Alamea?" Überrascht sehe ich zu Mutter zurück. Blicke sie fragend an. „Stört Pravin dich?" Fragt plötzlich Deianira am Ende des Tisches. Ja. Ja, er stört mich. Nervös sehe ich wieder zu ihm rüber. Er blickt unschuldig zurück. Ob er mir weh tun wird, wenn ich ehrlich antworte? Moment, ich könnte es einfach darauf schieben eine Ilaria zu sein. Ilaria können nicht lügen. Ich könnte es zu meinem Vorteil nutzen, wenn sie glauben, dass ich immer die Wahrheit sage, dabei bin ich eigentlich in der Lage zu schwindeln.
„Er ist glücklich." Sage ich verwirrt. „Ich kann mich deswegen nicht konzentrieren." Plötzlich ist Pravin nicht mehr glücklich. Er ist beunruhigt und als er aufspringt und sich den Hintern hält da sehe ich auch wieso. Sein Stuhl brennt. Erschrocken sehe ich mich um. Wer von ihnen was das? Sie sind alle zufrieden damit ihn erschrocken zu sehen. Alle blicken auf Pravin außer einer, nämlich der, der es war. Lorcan. Genau das meine ich. Mit sowas kann ich nicht zusammen leben. Er beobachtet mich schon wieder aus seinen schwarzen Augen als würde er versuchen mich zu beeindrucken, dabei mag ich sowas nicht. Wieso müssen Nicoli immer anderen weh tun? Selbst ihrer eigenen Familie.
„Seena?" Frage ich vorsichtig und meine Mutter sieht fragend zu mir. Nervös lege ich meine Hand auf meinen Brustkorb. Das Zeichen haben wir vor Jahren ausgemacht. Sie versteht sofort und dreht sich am Tisch zu einem unserer Wachen um. „Rafandra!" Sie wirkt ihn mit der Hand her und ich schlucke eine Menge Speichel runter, weil es mir so peinlich ist. Rafandra ist sichtlich genervt, kommt aber her und hält mir seine Hand über der Schulter hin. Ich nehme sie, aber fühle mich dadurch nur wenig besser. Hätte meine Mutter sie einfach genommen, wäre es okay gewesen, aber sie tut sowas nicht. Es ist unter ihrer Würde.
Ich atme frustriert viel zu laut aus. Rafandra anzufassen sorgt nur dafür, dass ich seine negativen Gefühle erst recht bemerke. Er ist einer der Lieblingswachen meiner Mutter und ich kann ihn nicht sonderlich leiden. Vielleicht bin ich deswegen so gemein und drehe mich zu ihm um. Sehe in sein überraschtes Gesicht und ändere meine Augenfarbe zu einem stark pigmentierten, klaren blau. Weil ich hab Ilaris bin, kann ich dafür sorgen, dass er meine Schönheit erkennt. Die andere Hälfte von mir, kann ihn genug manipulieren sich für ein paar Minuten in mich zu verlieben.
Ich gähne müde als ich mich umdrehe, weil es mich Kraft kostet von Naida zu Ilaris und wieder zurück zu wechseln, aber als ich wieder zum Tisch sehe, sind meine Augen wieder rot und Rafandas Arme liegen so ehrlich wie Nevans um mir. Jetzt fühle ich mich zwar schlecht, weil ich ihn manipuliert habe, aber wenigstens habe ich nicht mehr das Gefühl innerlich zu verwelken. Rafandra ist jetzt ganz entspannt und sogar glücklich. Er ist nicht besonders willensstark also war es leicht ihn zu manipulieren. Oh, wie ich dieses Wort doch nicht leiden kann. Mir wird schon wieder schlecht, aber wenigstens nicht so schlimm wie eben. Ich ziehe Rafandras Arme noch fester um mich und er lässt mich einfach.
Toll hier vor allen zu sitzen und sich von nem Naida umarmen zu lassen während ich bei meinem vermeintlich zwangsverlobten und seinem verliebten Bruder sitze. Schlimmer kann es gar nicht werden. Zum Glück starren sie nur, aber sagen nichts. Lockenschopf scheint eifersüchtig zu sein, denn jetzt starrt er wütend genau hinter mich. Diese ganze negative Energie ist wirklich nicht erträglich.
„Möchtest du vielleicht lieber Laurent heiraten?" Wen? Fragend sehe ich Deianira an. Lorcan ist nicht die einzige Option? Ich kann spüren wie aufgeregt meine Mutter ist. Alles läuft so viel besser als sie es sich ausgemalt hat. Würde ich nur bloß bei ihrem Plan mitspielen wollen. „Wer ist Laurent?" Frage ich. Sofort lachen ein paar. Deianira lacht nicht. „Der, der sich für dich ein Messer in die Hand gestochen hat!" Sagt sie wütend. Oh, jemand muss es ihr erzählt haben als Lorcan und ich draußen waren.
Entschuldigend sehe ich zu Laurent, der wieder meinen Blick meidet. Ich habe es gerade nur schlimmer gemacht oder? Es ist erdrückend wie sich hier immer wer über das Leid eines anderen freut. Typisch Nicoli. Unentschlossen sehe ich zu meiner Mutter. Sie blickt ernst zurück. Ich weiß was sie möchte. Sie will das ich hier einheirate. Am besten Laurent, weil er Gefühle für mich hat und sprechen kann. Das sichert uns am meisten Macht. Fragend sehe ich zu Lorcan. Er ist wütend. Man kann die Wut richtig wummern fühle. Sein ganzer Körper vibriert.
Ich schüttle langsam mit dem Kopf. Laurent möchte ich doch auch nicht. Ich möchte jemanden, der Mitgefühl hat. „Ich glaube, Alamea ist noch von der langen Reise erschöpft und kann deswegen gerade keine Entscheidung treffen." Sagt Seena, meine Mutter. Sie legt sogar ihre Hand auf meinen Arm als würde sie sich wirklich um mich kümmern. Als würde sie das hier nicht nur tun um mich gleich dazu zu überreden Laurent zu wählen.
Plötzlich steht Lorcan auf. Er zeigt auf mich und dann auf den Ausgang. Will er nochmal mit mir sprechen? Nervös tippe ich auf Rafandras Arme und er lässt mich widerwillig los. Zittrig stehe ich auf und verlasse hinter Lorcan den Raum. Keiner hält uns auf. Ob es okay ist jetzt mit ihm allein zu sein? Ist das jetzt nicht gefährlich? Wir gehen auch für länger als geplant stelle ich fest. Frage mich wo er mich hin bringt.
Lorcan ist groß und breit. Man kann seine Kräfte schon spüren, wenn er bloß in der Nähe ist. Seine Eltern haben viel in ihn investiert. Das haben meine auch gemacht. Meine Mutter muss meinen Vater wirklich geliebt haben, weil sie mir so viel von ihrer Kraft geschenkt hat. Meine Ilaria Kräfte sind auch ziemlich gut. Mein Vater muss mir noch mehr gegeben haben. Unglaublich was Liebe alles hervorbringen kann.
„Müssen wir so weit weg gehen?" Frage ich vorsichtig. Lorcan dreht sich zu mir um und nickt einfach. Dann geht er weiter und ich folge ihm. „Ich wollte Laurent nicht weh tun." Ich muss es mir vom Herzen reden und Lorcan kann mich wenigstens nicht davon abhalten. „Er hat mich einfach genervt. Ich dachte, er würde mich dann in Ruhe lassen. Ich wusste nicht, dass er mich wirklich mag. Ich dachte, ich wäre nur so eins seiner Spiele und er wäre nur so besessen, weil ich nicht direkt 'ja' gesagt habe."
Lorcan läuft einfach weiter. Ob es ihn nervt, dass ich mich erkläre? Seine Emotionen haben sich nicht geändert. Es muss ihm wohl egal sein. „Du kannst ihn nicht leiden oder?" Frage ich und Lorcan nickt sogar. „Also bist du froh, dass er sich verletzt hat?" Wieder nickt er. Nicoli sind so gruselig. Plötzlich bleibt Lorcan stehen. Er tritt zur Seite und drückt die Tür vor mir auf. Was ich sehe ist ja unglaublich. Fasziniert gehe ich durch den riesigen goldenen Ramen hindurch. Hier ist ein ganzes Gewächshaus. „Fächerpflanzen." Murmle ich. Wow ist das schön. Sofort fühlt sich mein Herz leichter an. Ich schließe kurz meine Augen und atme tief ein. Es reicht nach Orangen. Der natürliche Geruch von diesen Pflanzen. Nicoli können ihn nicht riechen, Ilaria aber schon.
Glücklich drehe ich mich zu ihm um. „Ist das deins?" Er nickt langsam und beobachtet mich. Es war leicht für ihn zu erraten, dass ich Pflanzen mag. Es ist ein kleines Klischee über Naida und es ist auch irgendwie wahr. Meine eine Schwester heißt Midori. Das bedeutet sogar 'grün'. „Wunderschön." Murmle ich als ich über den kleinen Steinweg durch die Pflanzen spaziere. Fächer Pflanzen haben ganz breite geriffelte Blätter. Sie sind rund, aber nachts Fakten die sie sich zu und sehen aus wie Fächer.
„Du brauchst Schmetterlinge, dann wachsen sie besser." Erkläre ich. Natürlich ist das auch was magisches. Fächerblätter lieben Schmetterlinge. Und wenn sie umgeben sind von dem was sie lieben, dann sind sie glücklich und glückliche Pflanzen wachsen größer. „Bei uns haben wir Fächerblätter so groß wie Teppiche. Man kann drauf sitzen und damit über den Teich gleiten." Erzähle ich grinsend und zeige ihm mit meinen Armen was ich meine. „So groß. Weil wir Schmetterlinge züchten."
Als ich Lorcans Emotionen wahrnehmen möchte, da merke ich, dass es ihn nicht berührt was ich sage. Da ist bloß Ungeduld. Enttäuscht nehme ich meine Arme wieder runter. „Das interessiert dich gar nicht." Stelle ich fest. Sehe mich wieder um. Er zeigt mir das hier nur damit ich ihn heirate. Sie haben lange nach jemandem gesucht der vielleicht bereit dazu ist. Er will seine Chance einfach nutzen und mich überzeugen. Ich weiß, dass es nur meine Ilairs Seite ist, die daran Schuld hat, dass ich enttäuscht und traurig bin. So schnell verletzt zu sein ist wirklich eine Last.
„Sind die wirklich dir?" Frage ich normal und er nickt wieder. Wieso hat er so viele Pflanzen, will aber dann nichts von ihnen hören? Das macht doch gar keinen Sinn! „Können wir zurück gehen?" Frage ich immer noch enttäuscht. Lorcan sieht mich überlegend an. So hat er sich das wohl nicht vorgestellt. „Willst du wissen wieso ich keinen Nicoli heiraten will?" Frage ich ratend. Er nickt langsam. „Ihr seid gemein. Ich bin halb Ilaria. Ich mag es nicht, wenn andere gemein sind. Ihr habt Millionen meiner Leute umgebracht und ihr behandelt Ilaria schlecht. Außerdem macht ihr mir Angst. Wieso sollte ich mich dazu Entscheiden in Angst zu leben? Ich bin halb Ilaria. Ich sterbe, wenn ich zu lange Angst habe." Nachdenklich blickt er zurück. Sieht so aus als würde er das nicht verstehen. Er weiß wahrscheinlich gar nicht was Angst ist.
„Aber danke, dass du mich hergeführt hast." Nachdenklich sehe ich mich ein letztes Mal um. „Ich wette, dass das hier der einzig helle Raum im ganzen Schloss ist."
